Time Projection Chambers / Die STAR FTPC und ihre ASICS

Begonnen von Gigabecquerel, 10. Februar 2025, 14:36

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Gigabecquerel

Guten Morgen liebe Leute,

Heute mal wieder was ganz anderes:
Es ist Samstag Morgen, ihr steht am Schrottplatz und wartet, bis der Kaffee seine volle Wirkung entfaltet. Am Alu-Haufen liegen komisch Teile die "technisch" aussehen... was könnte das sein?
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Runde Röhre, viele Kabel, ein Haufen... Antennen? Ein MRT vielleicht?
Nein, dafür sehen die Antennen anders aus, vielleicht ist was drunter versteckt und es ist ein PET?
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Tja, und dann sehr ihr die Drahtreste und der Groschen fällt:
Es sind Teilchendetektoren von einem Beschleuniger!
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Das tat echt weh, die schönen Dinger in so einem Zustand zu sehen.
Irgendjemand war da sehr beschäftigt alle Drähte raus zu holen...
Aber ist wohl besser so, wären sie ganz hätte ich sie wohl mitnehmen müssen  ;)

Aber was genau war das denn mal?
Die Beschriftung verrät: Das sind die FTPCs des STAR Detektors. Die Physiker lieben einfach ihre Akronyme.... fangen wir mal hinten an. STAR steht für "Solenoidal Tracker at RHIC". Nächstes Akronym.. RHIC ist der Relativistic Heavy Ion Collider. Der Beschleunigt Schwere Ionen auf Relativistische Geschwindigkeiten  :P
Ein Solenoidal Tracker ist dann ein Detektor, der einen Solenoid, also einen Magneten parallel zum Strahlrohr, hat und in dem Magnetfeld Teilchenspuren verfolgt. Der Magnet ist da, damit die Spuren gebogen sind, so kann man aus dem bekannten Feld und ein paar anderen Daten wie biegeradius den Impuls, und häufig die Energie der Teilchen errechnen. Darauf basieren die Meisten großen Detektoren wie ATLAS, ALICE und CMS am CERN. Der LHCb hat als Gegenbeispiel einen großen Dipol, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Aber was ist eine FTPC?
Das "F" ist einfach, es steht für "Forward". Das gibt einfach an, dass die TPC so gelegen ist, dass sie sich die Teilchen anschaut, die "vorwärts" fliegen, also ~parallel zum Strahlrohr. Dafür gibt es im STAR zwei Stück, die jeweils an den Enden des Detektors liegen.
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aus: https://mediatum.ub.tum.de/doc/602938/602938.pdf

Und was ist eine TPC?
TPC steht für Time Projection Chamber. Ist erstmal einfach ein Cooler Name.
Eine TPC ist ein Detektor, der im inneren ein extrem homogenes Elektrisches Feld hat, wenn ein Teilchen das Gas in der Kammer ionisiert entsteht eine Spur an Ionen-Elektronen Paaren, genau wie im Proportionalzähler oder Geiger-Müller Zähler. Durch das Elektrische Feld trennen sich die positiven Ionen von den negativen Elektronen und Driften in Richtung ihrer entsprechenden Elektroden.
Das Tolle an der TPC ist, dass dadurch, dass das Feld so homogen ist und das Gas bekannt ist (man füllt es ja rein), die Driftgeschwindigkeit sehr genau bekannt ist. Das heißt:
Wenn man weiß, wann das Teilchen durchgeflogen ist (Die Kollisionen im Beschleuniger passieren zu genau bekannten Zeitpunkten) und wann die Ionisationsprodukte an der Detektorwand angekommen sind, kann man genau errechnen, wo die Ionisationsspur verlaufen ist. Technisch sind diese Detektoren super simpel aufgebaut und man muss nur sehr gutes Timing, so wie ein sehr Homogenes Feld hinbekommen. Bei diesen FTPCs ist in der Mitte eine HV Elektrode, die das Strahlrohr umgibt und die auf ca. -10 kV liegt. Dadurch entsteht ein Koaxiales Elektrisches Feld, das Ionen nach innen zieht, diese werden ignoriert, und das Elektronen nach außen drückt, wo sie dann Detektiert werden. Die Elektrode und der Feldkäfig, der an den Enden des Detektors das Feld homogenisiert, haben bei den Teilen am Schrott leider komplett gefehlt.
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aus: https://arxiv.org/pdf/nucl-ex/0211014

Wenn ihr euch das Dritte Bild genau anschaut erkennt ihr dort Zwei Paar Drähte, die ein paar mm über der Wand mit ihren Kathodenstreifen liegen. Der Innere, also der HV-Elektrode nähere, Satz Drähte ist ein sog. Gating-Gitter. Über die Spannung des Gitters kann man bestimmen, ob die Elektronen die Drähte drunter erreichen, oder, ob sie in dem Gitter bleiben. Damit kann man den Detektor blind machen und z.B. Events zu unmöglichen Zeiten ausschließen, um die Datenmenge niedriger zu halten. Unter dem Gating-Gitter liegt das Frisch-Gitter. Dieses ist zur Elektrischen Abschirmung da, damit die Strukturen drunter  nicht das Elektrische Feld der HV oder der driftenden Elektronen / Ionen sieht, auch wenn das Gating-Gitter umgepolt wird würde es ohne dem Frisch-Gitter große Spannungen in die Strukturen drunter Induzieren. Unter dem Frisch-Gitter liegen die Elektroden, die am Ende das Elektrische Signal erzeugen. Die kennt ihr schon, sie bilden einen (oder eher sehr, sehr viele) klassische Proportionalzähler. Die Streifen bilden die Kathoden, die Drähte drüber die Anoden. An den Anoden werden die Elektronen beschleunigt, sie ionisieren mehr Gas, es gibt eine Verstärkung und damit mehr Signal, ihr kennt es.
Die Anoden werden nicht ausgelesen, sondern man misst den Strom, bzw. die Ladung, die die Ionen (die an der Anode erzeugt werden), in die Kathoden induzieren wenn sie auf sie zu driften.
Auf den Bildern hier erkennt man die Anodendrähte noch, am Schrott haben sie alle gefehlt.
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Beide aus: https://mediatum.ub.tum.de/doc/602938/602938.pdf

Das ist alles, was ich euch zu den Detektoren sagen kann, gleich gehts weiter mit der Elektronik.
Die teil ich aber in einen weiteren Post auf, damit das hier nicht zu groß wird und ich mich schon dem Datenlimit näher  ;)

Ich hoffe ihr konntet etwas neues lernen, wie immer: Fragen sind jederzeit willkommen!

Viele Grüße,
Lukas
Gammaspektroskopie, Proportional- und Halbleiterzähler!

NoLi

Lukas,

sind an den Schrottresten aktivierte Teile messbar?

Norbert

Gigabecquerel

Und hier gehts auch gleich weiter!

Da sich von den Detektoren an sich leider garnichts retten ließ hab ich mir mal die elektronik genauer angeschaut. Pro Pad-Segment waren vier Platinen drauf, pro Platine waren 8 ASICS drauf.
Das ist doch schon interessant! Die Pad-Signale (also die Kathoden) gehen alle einzeln in den "STAR FTPC SAS16F", von da aus dann in den "STAR FTPC SCA/ADC". Aus denen wird das Signal von 64 Pads auf ein Flachband zusammengeführt, das dann nach hinten verschwindet und die Statistiker füttert.

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Was der SCA/ADC macht ist klar, wenn man weiß, wofür die Buchstaben stehen. Der SCA ist ein Single Channel Analyzer, grob gefasst eine Art Spitzen-Detektor, er erkennt also, wo das Elektische Signal sein Maximum erreicht hat. Der ADC Digitalisiert das dann und schiebt die Daten Digital raus, damit passen auch so viele Pads auf so wenige Kabel.

"SAS16F" hat mir etwas mehr Arbeit gemacht. Hier hatte ich einfach Glück beim suchen.
SAS ist wohl der STAR Amplifier Shaper. 16 ist wie viele davon auf einer Die sitzen und F ist vermutlich(sehr unsicher) die Revision. Im Endeffekt ist das ein Ladungsverstärker als Vorverstärker und ein Shaping Amplifier fürs Signal Shaping.
Info dazu findet man hier: https://muon.npl.washington.edu/twiki/pub/MuSun/MuSunEPC/00507158.pdf

Mehr Info zu beiden Chips findet man hier: https://www.star.bnl.gov/public/fee/fee.html

Da beide Chips ziemlich alt sind und große Strukturen haben dacht ich mir: Schauen wir mal, was man da so finden kann!
Heiß gemacht zerkrümelt ihr Gehäuse schnell und man hat eine offene Die, die man weiter untersuchen kann. Ein paar nm Gold drauf und sie sind bereit fürs Rasterelektronenmikroskop. Die kleinen sind die
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SAS, die großen SCA/ADC.

Lustigerweiße sind sie fast zu groß fürs REM und ich hatte es nicht geschafft in einem Bild den ganzen Chip abzulichten. Mit einem Mosaik geht das natürlich, aber das war mir zu viel aufwand... es sind schon ein paar in der Post zu freunden, die das etwas Professioneller machen. Ich halt euch auf dem Laufenden!

Kommen wir erstmal zum SAS. Den konnte ich *fast* komplett darstellen, man sieht gut, dass sich 16 einzelne Kanäle durchziehen.
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Unten sind nur noch ein paar wirebonds abgeschnitten, aber es ist eben fast alles da. Kommt das Signal oben rein und unten raus? Kommt es unten rein und oben raus? Ich weiß es nicht. Schön ist aber, dass man das LBL (Lawrence Berkeley Laboratory, da steht der RHIC) Logo, den Namen des Chip-Designers, E- Beuville, und den Namen des Chips sieht.
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Beim SCA/ADC Sieht man weniger, zumindest weniger, das ich verstehe.
Zuerst ist uns der große Schriftzug aufgefallen, der wieder verrät, wo das teil her kommt.
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An sonsten fällt dort auch die "Bucket Chain" auf, die 512 Messpunkte nimmt die dann nacheinander in den ADC geladen werden. Die Logik dahinter ist mir wieder unverständlich, ich sehe nur drähte.
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Mehr kann ich euch hier leider wirklich nicht sagen, denn wie gesagt, von chips hab ich keine ahnung.
Ich finds nur schön was zu sehen, das mal extra für so ein Physik-Experiment hergestellt wurde.
Vielleicht führt mich mein Weg im leben mal in die Experimentalelektronik, dann kann ich euch eventuell mehr dazu erzählen  ;D

Leider musste ich die bilder ziemlich Komprimieren, dass ich sie hochladen kann... Falls hier jemand sich mit Halbleitertechnik auskennt und sie sich genauer anschauen will kann ich euch gerne die 16 bit TIFFs per mail schicken.

Viele Grüße,
Lukas
Gammaspektroskopie, Proportional- und Halbleiterzähler!

Gigabecquerel

Zitat von: NoLi am 10. Februar 2025, 14:46sind an den Schrottresten aktivierte Teile messbar?

Nein, zumindest nichts, was der Bosean FS-5000 in ein paar minuten Messung vom hintergrund unterschieden könnte.
Ich bin hier in München, nicht in Berkeley, daher bin ich mir auch sicher, dass das nicht die Kammern, die den Strahl vom RHIC gesehen haben. Das MPI hier in München hat die Elektronik für die FTPCs (und vielleicht auch die FTPCs selber? Da bin ich mir nicht sicher) produziert, ich bin mir sehr sicher, dass das hier nur Prototypen- oder Schwesterdetektoren zum Testen sind. Viel Strahl werden sie nie gesehen haben, das meiste passiert bei sowas eh nur mit Cosmics oder Lasern.
Ist aber ein guter Punkt, wenn man Beschleunigerteile findet sollte man mit aktivierung rechnen!
Wegen dem Zähler den ich immer dabei hab und, da der Schrott hier ein großes Szinti-Portal hat mach ich mir aber in diesem Fall keine Sorgen.
Gammaspektroskopie, Proportional- und Halbleiterzähler!

ALARA