Abgebrannter Kernbrennstoff Dosisleistung

Begonnen von Oliver, 07. August 2024, 23:09

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Oliver

Man hört ja immer, dass abgebrannter Kernbrennstoff für unvorstellbar lange Zeiten tödlich radioaktiv ist. Laut Wikipedia hat vor 10 Jahren aus dem Reaktor entfernter Brennstoff eine Oberflächen-DL von über 100 Sv/h. Das ist natürlich selbst mit etwas Abstand in Minuten tödlich.
Nun geht aber der größte Teil dieser Aktivität von Isotopen mit einer mittleren, ehr kurzen HWZ aus (Cs-137, Sr-90,...). Auf den Gammaspektren aus Tschernobyl sieht man ja auch immer fast nur Cs-137. Cs-137 und Sr-90 sind aber nach 300 Jahren praktisch weg. Beim Americium sind es 4000 Jahre, was aber immernoch überschaubar ist. Das bedeutet also, dass der Kernbrennstoff nach dem Zerfall dieser Nuklide zwar immernoch radioaktiv ist, aber einen sehr großen Teil seiner Aktivität verloren haben müsste. Klar, viele Plutoniumisotope sind zum Beispiel noch da, die haben aber durch ihre längere HWZ im Vergleich zum Cäsium eine winzige spezifische Aktivität. Ich schätze, dass 10000 Jahre alter Kernbrennstoff nur noch eine DL im mSv-Bereich hat.
Warum wird also immer gesagt, dass dem Zeug für eine Million Jahre niemand nah kommen darf? Sicher, es bleibt gefährlicher und giftiger Abfall, das sind PCB, Asbest und Quecksilber aber auch. Wäre es aus dieser Sicht nicht am besten, das Zeug hier oben zu lassen statt es zu vergraben?  Ich bin zuversichtlich, dass man irgendwann mal was nützliches damit machen kann. Insbesondere, weil es in 1000 Jahren vergleichbar mit PCB zu handhaben ist.

opengeiger.de

Man kann ja mal fürs Pu239 (T1/2 = 24110) rechnen, was nach 100000 Jahren noch da wäre:
e^(−ln(2)÷24110×100000)=0.056
Also aus 1Sv werden nach 100000 Jahren 56mSv. Nach 1Mio Jahre sinds noch 3.27E-13Sv also so gut wie weg. Stimmt doch, oder?

PS: Hab die Rechnung mal besser aufs Pu239 geändert  ;)

opengeiger.de

Da es ja gerade in den Medien ein aktuelles Thema ist, hab ich mal gegoogelt, wie so ein "Modellinventar" aussieht. Hier findet man von der GRS Angaben zu Gorleben: "Abfallspezifikation und Mengengerüst, Vorläufige Sicherheitsanalyse für den Standort Gorleben" (https://www.grs.de/sites/default/files/publications/GRS-278_neu.pdf).

Auf der Seite findet man die radiologische Charakterisierung des vom BfS veranschlagte Modellinventars, das sich auf ein Brutto Abfallgebindevolumen von 303.000 m^3 bezieht:
Sie dürfen in diesem Board keine Dateianhänge sehen.

Da sieht man dass von den langlebigen Nukliden das Pu242 sogar auch noch drin ist. Das Pu 242 hat 375000 Jahre Halbwertszeit. Also noch besser. Für ein MOX Brennelement wird ein Pu-Nuklidvektor von Pu-238/Pu-239/Pu-240/Pu-241/Pu-242: 2,03/54,4/25,6/11,3/6,7 Gew.-% angegeben.

Was natürlich verrückt ist, man kann ja überhaupt nicht abschätzen, wie die Welt in 1Mio Jahren aussehen wird. Denken wir mal an den Strahlenschutz. Anfang des 19 Jahrhunderts (vor 100Jahren) hat man auf einem Ärztekongress gesagt, dass die Dosis beim Röntgen kritisch wird, wenn sich die Haut rötet. Dann hat man das Gray und das uSv erfunden und seitdem gingen die Grenzwerte kontinuierlich runter. Wo wird die Menschheit mit dem Strahlenschutz in 1Mio Jahren sein? Auch interessant, wird jemand, der auf vergrabenen Atommüll stößt, überhaupt verstehen, was in dem merkwürdigen Behälter drin ist?

Ich denke es ist ne rein moralische Entscheidung, wie man mit dem Müll, den man heute produziert, und von dem man weiß, dass er nach vielen Generationen noch nicht zerfallen ist, heute umgeht, und welche "Nuss" man den späteren Generationen "zum Knacken" hinterlässt. Es ist ein Grundproblem der nicht regenerativen Energieerzeugung, den Müll, ob nun CO2 in der Atmosphäre oder Pu-XXX in der Erde, den will keiner haben, die Energie aber schon. Bei den Schadgasen und dem Feinstaub, der aus dem Autoauspuff rauskommt ist es ähnlich. Wohlstand hat seinen Preis, es ist eine moralische Frage, wer dafür bezahlen soll.       

ALARA

Zitat von: opengeiger.de am 08. August 2024, 08:42Was natürlich verrückt ist, man kann ja überhaupt nicht abschätzen, wie die Welt in 1Mio Jahren aussehen wird. Denken wir mal an den Strahlenschutz. Anfang des 19 Jahrhunderts (vor 100Jahren) hat man auf einem Ärztekongress gesagt, dass die Dosis beim Röntgen kritisch wird, wenn sich die Haut rötet. Dann hat man das Gray und das uSv erfunden und seitdem gingen die Grenzwerte kontinuierlich runter. Wo wird die Menschheit mit dem Strahlenschutz in 1Mio Jahren sein? Auch interessant, wird jemand, der auf vergrabenen Atommüll stößt, überhaupt verstehen, was in dem merkwürdigen Behälter drin ist?       

Zu dem Thema kann ich folgendes Video empfehlen, zu Kennzeichnung bzw. Kenntlichmachung von Endlagern wurde geforscht:


Es geht um die Frage, ob man auf physikalische Hürden setzt, ob man auf Sprache vertrauen kann oder doch Piktogramme verwendet, oder ob man eine "Nukleare Priesterschaft" gründet und gar nicht endlagert sondern alles oben lässt, damit das Wissen um die Gefährlichkeit von Generation zu Generation weiter gegeben werden muss. Gar nicht so einfach, und im Grunde gilt das für nicht zerfallenden Giftmüll genau so.
Es werden auch andere Aspekte der Endlagerung beleuchtet. Ich finde den Film höchst interessant.

NoLi

Nun, der Natur-Reaktor in OKLO (Gabun) sowie der mittlerweile entdeckten weiteren Naturreaktoren in Gabun geben uns Antworten. Hier hat man die Migration der Spaltprodukt(reste), ohne irgendwelche Umhüllungen, in Abhängigkeit von der Bodenchemie untersucht.




Also ab unter die Erde in Gestein (mit möglichst keinen bedeutenden Mineralienbestandteilen) und versiegeln.

Norbert


Peter-1

Eine Frage zu Leschs Beitrag. Wie kommt man auf die 3% U235 vor 2 e9 Jahren?

Peter
Gruß  Peter

NoLi

Halbwertszeit U-235:   700 Mio Jahre
Halbwertszeit U-238: 4.500 Mio Jahre
Reaktorstartzeit vor 2 Mio Jahren.
Heute Konzentration U-235 in U-238: 0,7 %
(alle Zahlen gerundet!)

Heutige Konzentration U-235 = 0,7 %
vor 700 Mio Jahren = 1,4 %
vor 1.400 Mio Jahren = 2,8 %
vor 2.100 Mio Jahren = 5,6 %

Ok, ok, zum Startzeitpunkt der Reaktoren lag die Konzentration von U-235 bei rund 5 % und nicht bei 3 %, am Ende der Reaktorperiode lag sie bei rund 3 % mit leichtem Abbrandverlust.
Heutige Leichtwasserreaktoren verwenden U-235 Anreicherungsgrade von 3 % bis 5 %.

Norbert


Peter-1

Zurückrechnen kann ich auch  :D  , das finde ich sehr mutig !
D.h. die Werte von vor 2 e9 Jahren sind nur zurückgerechnet und haben sonst keinen Anhaltspunkt? Kreative Wissenschaft  :yahoo:
Ich hatte auf einen komplexen theoretischen Ansatz bei der Entstehung des Sonnensystems gerechnet.

Peter
Gruß  Peter

NoLi

Zitat von: Peter-1 am 10. August 2024, 15:50Zurückrechnen kann ich auch  :D  , das finde ich sehr mutig !
D.h. die Werte von vor 2 e9 Jahren sind nur zurückgerechnet und haben sonst keinen Anhaltspunkt? Kreative Wissenschaft  :yahoo:
Ich hatte auf einen komplexen theoretischen Ansatz bei der Entstehung des Sonnensystems gerechnet.

Peter
Hä? Wie willst Du es denn sonst ohne Berechnung mit der Halbwertszeit von U-235 heraus finden? :umnik2:
Oder glaubst Du, man könnte bei einer Supernovaexplosion die Elementsynthese und -verteilung in der entstandenen Staubwolke mit anschliessender Verdichtung zu Planeten theoretisch quantitativ (im voraus) bestimmen??

Norbert

Peter-1

Ok, dann sind die 3% oder 5% je nach Betrachtung der Reaktorstartzeit und Laufzeit recht ungenau und variabel. Startzeit und Laufzeit sind also nur ganz grobe Schätzungen.
Gruß  Peter

NoLi

Zitat von: Peter-1 am 10. August 2024, 17:04Startzeit und Laufzeit sind also nur ganz grobe Schätzungen.
Nein, sind sie nicht, weil man auf Grund der quantitativen Messungen auf die Bildung und den Gehalt der sehr langlebigen Transuranen durch Brutprozesse und den gebildeten Spaltprodukten über deren Halbwertszeit auf den Ursprungszeitraum rechnen kann.
Auch äußerst langlebige Spaltprodukte zerfallen letzendlich in ein stabiles Endnuklid; dessen gebildete Menge lässt sich mit der Massenspektrometrie quantitativ bestimmen.
Über die Halbwertszeit des radioaktiven (Mutter)nuklides und dessen ursprüngliche Aktivität/Menge lässt sich die Spaltausbeute bestimmen und mit allem zusammen die Reaktorleistung und Betriebszeit berechnen.

Norbert

Peter-1

Danke Norbert für die Erklärung. So wird es verständlicher !

Peter
Gruß  Peter

NoLi

Das Positive zeigt sich im Migrationsverhalten der (noch) radioaktiven und der mittlerweile stabilen Endnuklide. Sie haben sich in den letzten rund 2 Milliarden Jahren im umgebenden Erdreich kaum von der Ursprungsstelle  fortbewegt (nur einige Meter).
Das macht Hoffnung für eine sichere Endlagerung über einen langen Zeitraum, auch wenn sich Abschirmbehälter und Umhüllungen weitestgehend aufgelöst haben sollten.
Die Radioaktivität in solch einem Endlager wird dann nicht höher sein als in heutigen Uranlagerstätten und hauptsächlich vom Uran-238 durch seine lange Halbwertszeit dominiert.

Norbert