Jod-131-Wolke anzeigen?

Begonnen von Joachim, 07. Dezember 2024, 12:10

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Joachim

Liebe Radiatio-Freunde!

Ich bin neu in Eurem Forum und ich hoffe, dass Ihr mir vielleicht helfen könnt?!
Ich bin Arzt, früher war ich im Rettungsdienst und Katastrophenschutz tätig, inzwischen dort nur noch gelegentlich beratend.
Wir überlegen, das Gamma Spektrometer KC761B anzuschaffen, um im Notfall schnell herauszufinden, ob und wenn ja mit welcher Radioaktivität wir es zu tun haben.
Das Gerät ist ja autark ohne Handy und auch mit Batterien einsatzfähig und es ist klein und auch für relativ kleines Budget zu bekommen.
Dies ist wichtig für die Wahl der Schutzausrüstung, insbesondere für die Wahl des Atemschutzfilters, da ja beispielsweise Jod 131 auch gasförmig vorliegen kann.
Kann mir jemand sagen, ob man mit diesem Gerät eine Jod 131 Wolke anzeigt, wenn man drin steht oder hineinfährt, oder ob dafür die Sensitivität nicht ausreicht.
Ich habe schon bei Euch im Forum gelesen, dass Luftmessung nicht ganz so einfach ist. Es geht nicht um Messungen von Resten irgendwelcher Alt-Unfälle.
Es wäre super, wenn mir dazu jemand etwas sagen könnte!

Liebe Grüße aus Westfalen!

Joachim

NoLi

Hallo Joachim und Willkommen !

Rettungsdienst und Katastrophenschutz, da sind wir beide aufgabemäßig gar nicht so weit auseinander...ich bin seit 1976 im ABC-Zug Karlsruhe der Feuerwehr und jetzt noch mehr (im Einsatz u.a. als Fachberater Strahlenschutz, und Ausbildung) oder weniger (aktive Übungen, außer Planungen) tätig.

Nun zu deinem Anliegen:
eine "normale" Wolke mit Jod-131 wirst du mit diesem Gerät nicht nachweisen können, weil die Empfindlichkeit des CsJ-Kristalls auf Grund von Material und Größe zu gering ist (dann müssten schon sehr hohe Konzentrationen in der Luft vorliegen, und es reicht dann "normaler" Atemschutz mit auch Reaktorfilter bei weitem nicht mehr!). Also bliebe nur ein Luftprobensammler mit mindestens 4 m³/h Durchsatz (besser mehr) und die Anreicherung von J-131 auf einem Aktivkohlefilterstock, silberdotierte Absorberkörnchen oder eben ein Reaktor-Atemschutzfilter mit anschliessender Messung und entsprechener Messzeit, möglichst in einer Bleikammer. Also mit "schnell herausfinden" ist leider nicht.

Gruß aus dem Kalifornien Deutschlands ;D nach Westfalen
Norbert

Elektroniknerd

Zitat von: NoLi am 07. Dezember 2024, 17:59Also mit "schnell herausfinden" ist leider nicht.


und leider auch nicht mit "klein, leicht, portabel und einfach anzuwenden".

Immerhin habe ich fast so was wie eine Bauanleitung gefunden:
https://www.fs-ev.org/fileadmin/user_upload/04_Arbeitsgruppen/13_Umweltueberwachung/02_Dokumente/Loseblattsammlung/Loseblattsammlung/LB3_2_4.pdf

Die Dräger-Filter (Patronenfilter für Maske) scheinen um 35€ zu kosten.

Und es liest sich so, als ob man da mit etwas Abstrichen bei der Empfindlichkeit und/oder der Messdauer, durchaus auch was mit KC761B, RadioCode oder Raysid werden könnte.

Joachim

Danke für Euer herzliches Willkommen und Eure ernüchternde Antwort und natürlich für den "Bauplan"...
Also wenn ich Euch richtig verstanden habe, dann brauchts einen Aktivkohlefilter, ich sag mal in der Größe einer großen Kaffeetasse (so groß ist ja in etwa der Dräger-Filter) und eine entsprechende Luftdurchführung. Ich wußte gar nicht, dass Aktivkohle auch gasförmiges Jod 131 filtert. Mit einer solchen Konstruktion würde das KC761B nach einer Weile etwas anzeigen?

NoLi

Im Reaktorfilter und im alten KS80-Filter befindet sich eine imprägnierte Aktivkohleschicht, welche besonders auch die Jodabsorption erhöht.

In der ersten Mai-Woche 1986 betrug die J-131 Konzentration in der Luft in der alten BRD allgemein einige mBq/m³ bis in Spitzen einige 10 Bq/m³, lediglich in Bayern lagen die Kurzzeitspitzen bei max. ca 1000 Bq/m³.
Dies zeigt schon, dass ohne Anreicherung zu wenig Impulsraten in der freien Luft im Detektor erzeugt werden, diese i.d.R. vom normalen Gamma-Untergrund überdeckt werden und so dass keine separierte Messung, also Spektrometrie, möglich ist.

*Joachim: wenn du es mit einem Lufprobensammler probieren möchtest, versuch mal, über die KatS-Verwaltung noch alte KS80-Filter und Reaktorfilter (letztere sind damals an KatS-Einheiten in der Umgebung kerntechnischer Reaktoranlagen ausgegeben worden, die anderen vom BUND an alle KatS-Einheiten) zu bekommen. Wenn diese Filter ordnungsgemäß verschlossen und temperiert gelagert wurden, kann man sie heute noch bedenkenlos für diesen Zweck verwenden (obwohl ein Ablaufdatum drauf steht).

Mal grob überschlagsmäßig: wenn die Dosisleistung am Atemschutzfilter 1 µSv/h beträgt, befinden sich ca. 80 kBq J-131 im Filtermaterial, bei 0,1 µSv/h -also doppelte Nullrate- ca. 8 kBq. Dies zeigt, wieviel m³ durch den Filter gezogen werden müssen, um eine statistisch gesicherte Aussage mit dem KC761B machen zu können.

Norbert

Joachim

Danke Dir Norbert, jetzt hab auch ich es verstanden, die Sensivität des KC761B ist offensichtlich nicht groß genug.
Wenn Du aktiv im ABC-Zug tätig warst, dann hast Du mir echt was voraus...
Respekt!
Man kann dann vermutlich das KC761B nach dem Einsatz an den Dräger-Filter halten und schauen, ob Jod 131 vorhanden war?
Hast Du zufällig einen Tipp für ein handheld Gerät mit höherer Sensivität? Habt Ihr diesbezüglich vielleicht was auf dem Auto (Euer AKW ist ja schon lange nicht mehr in Betrieb)

Joachim

NoLi

Zitat von: Joachim am 08. Dezember 2024, 15:06...
Man kann dann vermutlich das KC761B nach dem Einsatz an den Dräger-Filter halten und schauen, ob Jod 131 vorhanden war?
...
Genau, und wenn sich genügend Aktivität auf/in dem Filtermaterial befindet, bekommt man auch ein entsprechendes Analyseergebnis. Nur die dafür benötigte Messzeit ist eine Variable, die man nicht vorhersagen kann. Sie hängt von der Filteraktivität und der Nachweisgrenze des Detektors/des Gerätes ab; letztere ist auch abhängig vom Umgebungsstrahlenpegel.

Zitat von: Joachim am 08. Dezember 2024, 15:06...
Hast Du zufällig einen Tipp für ein handheld Gerät mit höherer Sensivität? Habt Ihr diesbezüglich vielleicht was auf dem Auto (Euer AKW ist ja schon lange nicht mehr in Betrieb)
...
Da gibt es einige von Profiherstellern, aber nicht mehr in der Preisklasse des KC761B. So ab 6.000 € geht es dann los. Wir haben auf dem CBRN-Erkunder zusätzlich einen IdentiFinder von FLIR für Gamma- und Neutronenstrahlung, der hatte vor ca. 15 Jahren netto rund 18.000 € gekostet (wurde über das Land BW beschafft und somit Mwst-frei)  https://www.flir.de/products/identifinder-r400/?vertical=radiation&segment=detection  .

Norbert

Joachim

Danke für Deine umfangreiche Info.
Und wie würdet Ihr das dann praktisch im Einsatzfall machen, wenn sich das so schlecht messen läßt?
Habt Ihr eine maximale Tragezeit für Eure Nuklearfilter im Atemschutz festgelegt?
Da gibt es ja überhaupt keine Empfehlungen, zumindest habe ich keine gefunden.
Hängt ja auch von der Dosis ab.
Ich habe von 20min bis 8h alles schon gelesen.

Joachim

NoLi

Diese Fälle hatten wir schon, z.B. auch bei einem Transportunfall auf der A5 (u.a. Typ-A Kartons mit J-131 Therapiekapseln und zusammen um die 15 GBq Aktivität).
Hier geht der Angriffstrupp ausschliesslich umluftunabhängig, also mit Pressluftatmer und Folienschutzanzug, vor, bis weitere gesicherte Erkenntnisse vorliegen.

Was die Atemschutzfilter angeht: der BUND gibt vor, die Filter solange zu tragen, "bis der Atemwiderstand deutlich zunimmt". Die gilt aber nur für den Bundes-Einsatzfall (V-Fall) oder großem Katastrophenfall, also unter Notstandsbedingungen.
Bei "normalen" Einsätzen orientiert man sich am Arbeitsschutz und geht von erschwerten Einsatztragezeiten von max. 2 Stunden aus (ist vor allem ortstemperaturabhängig und konzentrationsabhängig). Einmal getragene Filter dürfen kein zweites mal benutzt werden, müssen sofort unbrauchbar gemacht werden (Schraubgewinde verformen).

Norbert

Joachim

Alles klar, mal wieder viel gelernt...
Würde sich der Atemwiderstand bei lediglich Jod 131 überhaupt erhöhen oder kommt der Widerstand, weil sich der Partikelfilter vom Staub zusetzt?

Joachim

NoLi

Zitat von: Joachim am 08. Dezember 2024, 21:43...
Würde sich der Atemwiderstand bei lediglich Jod 131 überhaupt erhöhen oder kommt der Widerstand, weil sich der Partikelfilter vom Staub zusetzt?
...
Das Radionuklid spielt dabei überhaupt keine Rolle, der Atemwiderstand steigt wegen der Feuchtigkeitsbelegung der Aktivkohle und damit deren "Zusammenbackung"; z.B. schwüles Wetter beschleunigt diesen Vorgang.

Norbert

Joachim

Das würde ich auch so einschätzen, aber mir fehlt da leider die praktische Erfahrung.
Danke, dass Du Dein Wissen hier teilst!!
Kannst Du noch ein Wort darüber verlieren, ob Ihr eine Vorgehensweise bezüglich Kaliumjodid-Tabletten habt (ist vielleicht hier nicht das richtige Forum)?
"Einnahme nach Anweisung durch Behörde oder Arzt" steht auf der Packung der Firma Lannacher.
Wenn man auf die Behörde wartet, dann...
Na ja, lassen wir das.
Nun wurde die Frage an mich herangetragen und ich habe da noch kein fertiges Konzept.
Ich habe ein paar Kollegen gefragt, aber da hat niemand einen Plan und es interessiert auch keinen.
Danke schon mal!!!

Joachim

NoLi

#12
Wir hatten einige Jahre eine Viertel Millionen dieser Lannacher Jod-Tabletten 60 mg im Gerätehaus lagern...diese sind aber letztes Jahr abgeholt und woanders eingelagert worden. Wo :unknw:
Erwachsene sollten 2 Tabletten, Jugendliche 1 Tablette nach Aufforderung einnehmen; ab 40 Jahren sollten keine Tabletten eingeworfen werden, da die Folgen von (möglichen) Nebenwirkungen den Nutzen übersteigen könnten.

Unsere Aufgabe wäre gewesen, als Ausgabestelle für die Hilfsorganisationen zu fungieren sowie ebenfalls Tabletten an vorgesehene Abgabestellen, wie z.B. Apotheken, zu verteilen.

Nun, mit Stilllegung der letzten deutschen Reaktoren hat sich das Ausgabeproblem entspannt...hoffentlich informieren die ausländischen Stellen rechtzeitig über mögliche gravierende Probleme in ihren Reaktoren. Und auch Putin etc. vor dem Einsatz von Atomwaffen...schliesslich sind in deren Fallout-Gemisch ca. 5 % Jod-131 enthalten :o ...und dies bei einer Fallout-Aktivität von etwa 1,1 E 21 Bq  pro kt Sprengkraft!

Norbert

Joachim

Dann bist Du da ja so zuversichtlich wie ich.
Ich bin sicher Putin ruft vorher durch der ist nicht so...
Darauf setzt auch unser gut aufgestellter Kat-Schutz.
Dann wird die Bevölkerung nach dem EMP und Handyausfall über die unzwischen nicht mehr vorhandenen Mittelwellensender informiert und Amazon Prime liefert die Tabletten...so weit so schlecht.
Nun sind die Lannacher ja für jeden frei verkäuflich, aber was sag ich (ider Du) dem, der fragt, wann er die nehmen soll...?
Hast Du da einen Vorschlag aus Deiner Kenntniss über Kat-Schutz?

Joachim

DL8BCN

Das ganze Thema gehört hier wohl nicht hin aber, die 60 mg Ausführung bekommst du soweit ich weiß nicht ohne Rezept.
Die handelsüblichen haben nur 150 bis 200 μg Wirkstoff.
Ich brauche so ein Zeug nicht mehr, ich bin zu alt :P