Luft-Aktivitätskonzentration

Begonnen von opengeiger.de, 16. Oktober 2024, 09:01

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

opengeiger.de

Nachdem das Intresse am "Atem der Erde" offensichtlich etwas zunimmt (https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,2493.0.html) und sogar Bier-Busts geplant werden :D, will hier mal meine etwas betagte Forschung aufleben lassen. Denn es gibt sie tatsächlich noch, die alte "Kraftwerks-Fernüberwachung" zumindest in Baden-Württemberg. In Stuttgart steht so eine Station auf dem Fernsehturm Stuttgart und sie atmet ein: unter anderem den Atem der Erde und natürlich ganz nebenbei auch andere schlechte Aerosolpartikel. Es ist also ein Aerosolsammler und da schaut nun ein super-emfindliches Gamma-Spektrometer kontinuierlich drauf und um Null Uhr in der Nacht wechselt ein atomatisierter Filterwechsler das Filterpapier, damit sich das Cs137 und das I131 nicht unendlich aufkonzentriert. Das Pb214 als Rn-Zerfallsprodukt aber zerfällt so schnell, dass der tägliche Filterwechsel keine Rolle spielt.

Siehe:
https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/radioaktivitaet/luft-aktivitaetskonzentration#karte

Seitdem nun die Kraftwerke in Deutschland mit dem potentiell ganz bösen Atem abgeschaltet sind, hatten wir etwas Pause, aber offensichtlich hat man sich entschlossen die Überwachung der "Luft-Aktivitätskonzentration" unter der Obhut des Landesamts für Umwelt (LUBW) weiterlaufen zu lassen und die Daten auch ins Netz zu übertragen. Besondere Bedeutung haben natürlch die Stationen an der Grenze zu Frankreich und zur Schweiz, aber man hat auch Stationen im Hinterland. Die Station oben auf dem Fernsehturm schützt also auch die Landesregierung 400m tiefer im Talkessel.

Die Station auf dem Fernsehturm hat es aber auch zu einer gewissen "Berühmtheit" zu den Zeiten geschafft (an der ich eine gewisse Beteiligung hatte), als Stuttgart den Namen als Hauptstadt des Feinstaubs erkämpft hat. Man konnte nämlich sehr deutlich die Korrelation der Radonkonzentration zum Feinstaubgehalt in der Luft erkennen. Klar, genau wie die Feinstaubpartikel der Komfortkamine und besonders der bösen Dieselfahrzeuge, sind die Radon-Zerfallsprodukte auch Aerosole, die im Filterpapier der Feinstaubmessgeräte hängenbleiben. Und daher werden die Filterpapiere der gravimetrischen Feinstaubmessgeräte (nur die sind bekanntlich gerichtsfest) mit der Messzeit zunehmend radioaktiv.

Ja, und gerade ists wieder so weit, wir haben eine schwache Inversionswetterlage, und deswegen steigt eben auch der Anzeigewert für das Pb214 in der Luft. Derzeit sind wir bei 5Bq/m^3, aber das könnte gegen mittag noch etwas besser werden, je nach Windverhältnissen.

Jetzt wärs natürlich interessant, gibt es diese alten Stationen der Kraftwerks-Fernüberwachung auch noch in den anderen Bundesländern, hat da jemand Informationen, wo man sie online abfragen kann?


silfox

In den "alten" Bundesländern bestehen die KFÜ-Systeme (Emission und Immission inkl. ODL, nicht immer Luft-Aktivitätskonzentration) weiterhin und es gibt auch den Datenaustausch zwischen den Ländern und dem Bund.

Für den Bund betreibt der DWD ein Messnetz zur Überwachung der Luft-Aktivitätskonzentration an ca. 40 Stationen.

Ferner gibt es noch die Spurenmessstellen: https://oar.ptb.de/files/download/310.20140104.pdf

Die Daten von Bund und Ländern sind (sollten) über das IMIS bzw. das Geoportal des BfS zugänglich sein:
https://www.imis.bfs.de/geoportal/

Beschreibungen der KFÜ-Systeme der Länder findet man mittels Suche, z.B. "KFÜ-Schleswig-Holstein" ...

opengeiger.de

Ja, super das tut auf dem IMIS Geoportal, super Tipp! Danke @silfox:yahoo:
https://www.imis.bfs.de/geoportal/

Man muss nur wissen, wo man klicken muss: Themen --> Luft --> Partikel/Luftstaub (Gamma)
Dann lädt der Kartenserver die KfÜ-Stationen bundesweit, die auch Pb214 messen (als Vertreter der Radonfolgeprodukte).

Also, wenn nun die Messstationen bundesweit noch öffentlich abrufbar sind, und generell ein Interesse besteht, kann ich's ja mal erzählen:

Vorab, die Idee stammt nicht von mir, sondern es gab 2012 eine IAEA-Konferenz in Wien mit dem Titel: "SOURCES AND MEASUREMENTS OF RADON AND RADON PROGENY APPLIED TO CLIMATE AND AIR QUALITY STUDIES" (man findet die Proceedings noch unter https://wwwpub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/P1541_web.pdf), wo vorgeführt wurde, wie man, ganz einfach gesagt, Radon-Messungen zur Luft-Qualitäts-Überwachung nutzen kann. Und das hängt jetzt damit zusammen, dass die Radon-Zerfallsprodukte sich an Feinstaub-Partikel anlagern und diese dann Feinstaubmessungen auf eine andere Art messbar machen, wie man das bisher gemacht hat (Partikelzähler). Da ich 2016 an der Universität der Feinstaubhauptstadt so quasi als Berater in Fragen des Messgerätebaus tätig war, und die Verzweiflung der Stadt über den Rekord bei den PM10-Messwerten an der schmutzigsten Stelle (am Neckartor) dann sehr deutlich mitbekam, war ein Gedanke, den städtischen Hintergrund ,,als Gegengewicht" besser flächig zu erfassen. Dazu griff ich die Ideen aus der IAEA-Konferenz auf. Es gab auch noch eine Forschergruppe in Italien, die Einiges zu der Radon-Idee publiziert hatten, und schon recht deutlich zeigen konnten, dass die Luftverschmutzung mit Feinstaub und Schadgasen ziemlich deutlich mit der Radonkonzentration in der Luft zusammenhängt (z.B. hier https://www.ge.infn.it/~prati/Fisica%20Nucleare%20Applicata/articoli/valli,%20vecchi.pdf). Da erinnerte ich mich eben auch an die Kraftwerksfernüberwachungsstation auf dem Fernsehturm in Stuttgart, die als Funktionskontrolle das Pb214 als Radon-Zerfallsprodukt kontinuierlich misst.

Ja, und schwer war es dann nicht mehr, diesen Zusammenhang in Form einer Korrelation zwischen Feinstaubkonzentration (PM10 und PM2.5) und dem, was das KFÜ-System auf dem Fernsehturm anzeigt, nachzuweisen. Nur gab es dafür leider keinen Nobelpreis.
 
Das Problem für die Stadtväter war aber auch die sichere Vorhersage einer solchen Situation, wo die PM10 Feinstaub-Konzentration über 50ug/m^3 ging, um den populären ,,Feinstaubalarm" auszulösen. Dazu bediente man sich jetzt eben der Wetterdaten. Was schon aus vielen älteren Beobachtungen bekannt war, war, dass die Inversionswetterlage im Stuttgarter Talkessel (topographisch gesehen also eine Riesen-Doline) die Wahrscheinlichkeit für einen Feinstaub-Supergau massiv erhöht, (vor allem an schönen kalten Wintertagen). Da sitzt eben die schwere, kalte Luft im Talkessel und warme Luft schiebt sich wie ein Deckel über den Topf. Dann bildet sich an dieser Grenzfläche meist auch Nebel, den die flachstehende Sonne nicht mehr auflösen kann. Damit gibt es dann auch keine vertikale Konvektion durch Aufwärmen des Bodens mehr. Und dann fahren alle Autos morgens munter zum Berufsverkehr los und die Leute heizen noch ihre Komfort-Holzkamine an und so steigt eben die Partikelkonzentration sprunghaft an. Das freut dann auch die Radon-Zerfallsprodukte und davon gibt es in Stuttgart, das geologisch im schwäbischen Keuper-Lias Land liegt, mit viel Sandstein, der bei uns Stubensandstein bzw. Schilfsandstein heißt und nicht Burgsandstein wie in Bayern, auch genug. Die Radon-Zerfallsprodukte brauchen dann keine Partner-Vermittlung mehr, um ihren Partner zum Anheften zu finden und deswegen steigt an diesen Tagen auch die Luft-Aktivitätskonzentration in der KfÜ-Anlage und erlaubt sogar eine gewisse Vorhersage, allerdings nur ein bis zwei Tage vorher. Aber es gibt ja auch Wetterfrösche, welche die Inversionswahrscheinlichkeit genauer vorhersagen können. Und die nützen eben nicht nur den Luftdruck, sondern auch die Stüve Diagramme von den Wetter-Ballonen.

Was aber eine ganz wichtige Erkenntnis beim Radonmessen für die Luftqualitätsvorhersage war, ist die Anwesenheit der Feinstaubpartikel, an die sich die Rn-Zerfallsprodukte anlagern können. Rein nur mit der ,,unattached fraction" der Zerfallsprodukte funktioniert das Messen nicht, die sind zu klein, um sich ans Filterpapier anzulagern. Das ist ganz ähnlich wie in der Lunge. Da brauchen die Zerfallsprodukte eine Anheftmöglichkeit an die genau richtige Partikelgröße, damit sie einerseits nicht wieder ausgeatmet werden, aber andererseits an den Flimmerhäarchen der Bronchien vorbeikommen und dem Impulssatz folgend auf dem Lungenepithel abgeschieden werden (Impaktor-Prinzip). Und da spielt der Feinstaub im Bergwerk oder der Tabakrauch eine ganz entscheidende Rolle. Diese multiplikative Wirkung ist ja sicher bekannt.

Ja, diejenigen, die jetzt in einer Stadt mit schlechter Luft leben und keine KfÜ-Anlage in ihrer Nähe haben, können sich nun einen Rikamino basteln und unter ein Dach in den Garten stellen um die Feinstaubkonzentration mit einer Radon-Messung zu bestimmen.  :D