Interpretation eines Thorium-Spektrogramms

Begonnen von Carlos, 08. Juli 2024, 10:04

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Carlos

Liebe Experten,

ich benötige Eure Hilfe bei der Interpretation eines Spektrogramms. Es zeigt die ca. 36 stündige Messung eines Pentax-Objektives mit dem Radiacode 103. Die Messung wurde im freien Feld aufgenommen. Der gegebene Backround ist ebenfalls im Diagramm (grün) dargestellt.

Nun zu meiner Frage:

Ich erkenne die entstrechenden Thorium-Peaks klar und eindeutig (siehe Sreenshot). Zu kleineren keVs erhalte ich durch die PC-Software "RadiaCode 1.12.01" aber keine Hinweise, was diese Peaks verursachen könnte. Ich meine die Peaks bei 18, 37, 94 und 136keV. Der Vollständigkeit halber füge ich das entsprechende XML-File bei.

Habt Ihr eine Idee, was die 4 Peaks verursachen könnte? Ihr würdet einem Anfänger sehr damit helfen!

Beste Grüße aus dem Kraichgau

Carlos

 

Carlos

Kann mir wirklich niemand meine Fragen beantworten?
Bin halt Anfänger und möchte irgendwann zum Fortgeschrittenen werden...

Carlos

opengeiger.de


Banev

Vorschlag: Lade das Spektrum doch mal in das Programm InterSpec. Das Programm stammt von den nicht ganz unbekannten Sandia Labs ;), es ist Open Source (Win, Mac und Linux) und ohne Installation lauffähig.
Das Programm kann das XML vom RadiaCode direkt einlesen, man kann den Hintergrund abziehen und sich Referenzlinien für nahezu jedes Isotop einblenden lassen.

Lennart

Zitat von: Carlos am 13. Juli 2024, 20:20Kann mir wirklich niemand meine Fragen beantworten?

Ich bin kein Experte für Gammaspektroskopie, aber ich kann Dir vielleicht einige allgemeine Hinweise geben. Grundsätzlich findet man immer irgendwo ein Spektrum für Th-232 mit einer Erklärung der Peaks. Das bringt meiner Meinung nach aber nichts, wenn man nicht versteht, wie die jeweiligen Peaks zustande kommen.

Zunächst mal gibt es mehrere Einflüsse, die bei einem Spektrum abseits der eigentlichen Photopeaks eine Rolle spielen können, z.B.:

- Einfluss von Betastrahlung, da der RadiaCode teilweise noch empfindlich für Elektronenstrahlung ist
- Röntgenfluoreszenz (XRF)
- Streuung durch den Compton-Effekt
- Bremsstrahlung
- Annihilation / Paarvernichtung
- Überlagerung mehrerer Peaks (Summenpeak)

Als vereinfachte Erklärung einige Details:

Betastrahlung hat im Gammaspektrum nichts zu suchen und kann durch Acrylglas abgeschirmt werden. In Proben mit geringer Aktivität ist der störende Einfluss aber eher gering, da die Selbstabsorption der Beta-Teilchenstrahlung viel größer ausfällt, als die Selbstabsorption der Gammastrahlung.

Röntgenfluoreszenz bzw. charakteristische Röntgenstrahlung entsteht als Wechselwirkung zwischen Gamma- oder Röntgenstrahlung und Materie. Jedes Element besitzt eine charakteristische Röntgenstrahlung mit individueller Energie. Wenn z.B. ein Elektron eines Silber-Atoms von einem Photon aus seiner Schale herausgeschlagen wird, entsteht eine Röntgenstrahlung mit ca. 3 keV, 22 keV oder 25 keV. Die Energie richtet sich nach der Schale, aus der das Elektron stammt. Die Schalen heißen von innen nach außen K, L, und M. Die Energien bewegen sich meist bei ein- bis zweistelligen keV. Bekannt ist z.B. der Barium XRF-Peak vom Cs-137 bei 32 keV.

Streuung durch den Compton-Effekt lässt sich kaum in zwei Sätzen erklären, für einen groben Überblick reicht der Wiki-Artikel. Vereinfach können z.B. Photonen durch einen "Zusammenstoß" mit einem Elektron (zurück)gestreut werden. So kann sich z.B. im Spektrum ein Rückstreu-Peak zeigen.

Bremsstrahlung entsteht, wenn ein Elektron (z.B. Betastrahlung) in Materie abgebremst wird und im Zuge dessen ein Photon (Röntgenstrahlung) abgegeben wird.

Vernichtungsstrahlung entsteht, wenn ein Elektron (mit negativer Ladung) und ein Positron (mit positiver Ladung) kollidieren. Dabei wird dann entgegengesetzt (180°) Photonenstrahlung mit 511 keV abgegeben. Wird z.B. beim PET-CT eingesetzt.

Ein Summenpeak entsteht, wenn sich ähnliche Gamma-Energien überlagern und man nur einen großen Peak sieht. Beim RadiaCode sieht man im Silber-XRF-Spektrum z.B. einen Peak zwischen 22-25 keV, der sich aus einzelnen Peaks zusammensetzt. Die einzelnen Peaks können aber nicht besser aufgelöst werden, da der Detektor dazu nicht in der Lage ist. 


Darüber hinaus ist es unmöglich, alles in einem kurzen Text zu erklären. Außerdem ist ein Spektrum von Natur-Uran oder Thorium relativ komplex. Es gibt sehr viele Peaks und somit auch viele begleitende Phänomene. Das ist den langen Zerfallsreihen der Actinoide geschuldet, deren Tochternuklide zahlreiche Gamma-Energien und begleitende Röntgenstrahlung generieren. Dazu kommt noch die Frage, ob ein Zerfallsgleichgewicht mit den Tochternukliden besteht.

Ich würde mich zunächst mal mit dem Spektrum von Cs-137 vertraut machen. Als wichtiges Spaltprodukt mit (vergleichsweise) einfachem Spektrum stellt es eine gute Grundlage dar, Dich mit den Basics zu befassen.

Hier gibt es eine schöne Erklärung zum Spektrum von Cs-137:
https://maximus.energy/index.php/2020/10/24/the-rich-physics-of-cs-137-gamma-spectrum/

In dem Spektrum von Abbildung 4 (Fig. 4) siehst Du z.B. folgende Effekte:

- 32 keV Röntgenfluoreszenz vom Barium (Summenpeak von 31,81 - 32,19 keV)
- Compton-Rückstreupeak, wenn hinter der Strahlenquelle ein Aluminiumblock für Rückstreuung sorgt
- Compton-Kontinuum mit Compton-Kante
- Photopeak bei 662 keV (die Energie wurde durch den Photoeffekt direkt an den Detektor abgegeben)
- (wäre das Spektrum in einer Bleiabschirmung entstanden, würde man noch prominente Pb-XRF Peaks bei 10,5 und 12,6 keV sehen)

Das ist jetzt natürlich keine direkte Beantwortung Deiner Frage, völlig klar. Trotzdem würde ich mich erst mit den Grundlagen vertraut machen. Das ist am Ende des Tages alles viel komplexer, als man glaubt.


Kermit

Zitat von: Carlos am 13. Juli 2024, 20:20Kann mir wirklich niemand meine Fragen beantworten?

Hallo Carlos,
Gammaspektrometrie macht man meiner Erfahrung nach nicht im Handumdrehen, zumal die Probengeometrie (zBsp.:Selbstabsorbtion), die Effizenz deines Detektors und die Energieauflösung des Detektors da eine grpße Rolle spielen.

Ausserdem haben wir in D gerade Urlaubszeit, will sagen, die Experten haben gerade Urlaub oder machen auf Arbeit die Arbeit mit, für die Urlauber  ;) , es lohnt sich daher, etwas Geduld zu haben  :)


Zitat von: Carlos am 08. Juli 2024, 10:04Ich meine die Peaks bei 18, 37, 94 und 136keV.

Aus dem Spektrumsfoto kann ich nicht so wirklich was ersehen, daher nehme ich nur Deine Angaben als Grundlage:

die 18 keV würde ich gar nicht betrachten, die 37 keV könnten eine 212-Bi Linie sein, die 94 keV und die 136keV könnten zu 228-Ac gehören.

Hier ein link zum Spektrum

https://www.gammaspectacular.com/blue/th232-spectrum

Gammaspectacular als auch die Webseite von Theremino sind eine gute Basis für Informationen zur Gammaspektrometrie.

viele grüße
Kermit


Kermit

Und wenn man noch ein wenig im Forum "kramt"
Findet man hier:
https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,2390.msg31335/topicseen.html#msg31335

eine interessante Diskussion  :)

und hier:
https://physicsopenlab.org/2017/06/30/gamma-activity-measures/

weitere Informationen.

Zitat von: Lennart am 13. Juli 2024, 22:44Ich bin kein Experte für Gammaspektroskopie,

Ich bin das auch nicht, aber Lennart hat es recht gut zusammengefasst.

Ich hoffe, Dir hilft das weiter  :)

Carlos

Vielen herzlichen Dank den verschiedenen Autoren für die ausführlichen Erläuterungen, die mir sehr helfen!

Ich verstehe nun deutlich besser, wie komplex das Thema Gammaspektroskopie in Wirklichkeit ist und werde nun versuchen - Eure verschiedenen Anregungen und Links aufgreifend - mich in die Unterthemen einzulesen.

Beste Grüße von einem nun etwas weniger blauäugigen, aber lernbegierigen Carlos

opengeiger.de


Nuklearlobby

18 keV: soweit unten in Energiebereich wird es schwierig, das könnte vieles sein, u.a. hat 228Ac da eine sehr schwache Linie aber glaube nicht das man die sehen würde.

37 keV ???

94keV 228Ac

137keV: Bi-214/Pb-214 aus der U-238 Zerfallsreihe?

Generell wäre es von Vorteil eine ungefähre Idee zu haben wie es mit Zähleffizienz des Detektors in verschiedenen Energiebereichen ungefähr aussieht, dann kann man über die Peakfläche und die Emmisionswahrscheinlichkeiten besser abschätzen, woher ein Peak kommen könnte.

Zur Recherche empfehle ich http://www.lnhb.fr/accueil/donnees-nucleaires/module-lara/

Über Dinge wie Single u. Double Escape Peaks/Summenpeaks muss man sich bei den Peakflächen im Hobbybereich wohl keine Gedanken machen, das verschwindet im Kontinuum. Ich arbeite mit HPGe's und sehe das eigentlich sehr selten.