Haan: Arbeitsunfall setzt Strahlung durch Selen-75 frei (2016)

Begonnen von DG0MG, 15. Mai 2024, 11:08

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DG0MG

Der Unfall ist schon eine ganze Weile her, aber einen eigenen Thread haben wir dazu noch nicht, @NoLi hatte den Fall schonmal kurz erwähnt.

In Haan (bei Düsseldorf) gibt es eine Niederlassung der Firma "IT-Service Leipzig GmbH". Schon der Name hat mich interessiert, denn was sollte eine Computerfirma mit radioaktiven Stoffen zu tun haben? Aber nein, "IT-Service" heißt "Ingenieurtechnischer Service". Ein etwas unglücklich gewählter Name, finde ich.  :-\

Schaut man auf die Webseite der Firma, dann hat sie eine interessante Historie: https://www.it-service-leipzig.com/?page_id=128
Sie ist aus der DDR-Firma "ISOCOMMERZ" entstanden, dem einzigen Händler von Strahlenquellen auf dem Gebiet der DDR (Isocommerz-GmbH, Binnen- u. Aussenhandelsunternehmen für Radioaktive u. Stabile Isotope). Der "Radioaktive Unterrichtsquellensatz Typ UA", der in jeder polytechnischen Schule der DDR vorhanden war (Co-60, Cs-137,Na-22, Kr-85), stammte von dieser Firma.

Die sind nach 1991 gewachsen und haben 2010 eine Firma für industrielle Röntgentechnik in Haan übernommen. Dort kam es am 12. Dezember 2016 zum Unfall in einem Kellerraum eines Gebäudes, in dem noch weitere Firmen ansässig sind. Die Firma selbst beschäftigte 15 Personen, im gesamten Gebäude waren rund 80 Personen tätig.


Genauere technische Informationen gibt diese Präsentation des LIA NRW: https://www.lia.nrw.de/_media/pdf/service/Vortraege/Jahrestagung2017-offene-radioaktive-stoffe/Scholl_Unfall-Se-75-HRQ-Quelle-Vortrag-2017.pdf

Eine defekte hochradioaktive Quelle (HRQ) für Radiographieaufnahmen, die im Ausfahrschlauch feststeckte, sollte offenbar instandgesetzt werden. Dazu wurde der Schlauch aufgeschnitten und dabei unbeabsichtigt die umschlossene Strahlenquelle beschädigt. Selen-75 hat eine HWZ von ~120 Tagen, die Quelle hatte noch eine Aktivität von 1.35 TBq (~75 mSv/h auf 1 Meter!) und stammte aus Russland. Das Selen liegt in Form eines feinen Pulvers vor und wurde in Teile des Gebäudes verschleppt.

Die Räume wurden durch eine bayerisches zertifiziertes Fachunternehmen gereinigt und die betroffenen Personen durch Ganzkörpermessungen auf Inkorporationen überprüft. Dabei wurden in 11 Fällen Dosen über 1 mSv ermittelt, die 3 am schwersten Betroffenen liegen bei ~3mSv. In ~70 Wohnungen wurden kontaminationsmessungen durchgeführt, davon waren 55 unauffällig, in den übrigen wurden geringe Kontaminationen an beweglichen Gegenständen festgestellt, diese wurden vorsorglich sichergestellt.

Der Vorfall wurde auf INES-Stufe 2 eingestuft: https://www-news.iaea.org/ErfView.aspx?mId=e71c3e5d-247f-4e7a-9997-47002bc06029

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