Messfehler bei der Strahlungsmessung

Begonnen von opengeiger.de, 26. Dezember 2023, 08:32

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NoLi

Quintessenz der Überlegungen:

Auch Profi-Strahlenmessgeräte für die Dosisleistungsmessung zeigen bauartbedingte Ergebnisabweichungen, insbesondere bei niederen Gammastrahlungsenergien. Diese Abweichungen erhöhen sich bei Consumer-Geräten je nach Typ mehr oder weniger wegen der vereinfachten Bauart.
Aber im Gegensatz zu Consumer-Geräten dürfen Profi-Geräte im Rahmen ihrer Bauartzulassung nur Anzeigeabweichungen innerhalb der gesetzlich festgelegten Toleranzen aufweisen.

Somit stellt die Energieabhängigkeit und der Konstruktionsaufwand der verbauten Detektoren ein Messfehlerpotential dar.

Norbert

opengeiger.de

SO, nun will ich noch nen möglichen Messfehler in die Runde werfen: Da läuft ein Forist mit seinem Messgerät, das ne gewisse Betaempfindlichkeit hat über einen Straßenbelag aus Granit oder Schlackepflaster, oder gar über ne alte Halde mit Unat. . Er trägt das Messgerät ordnungsgemaäß 1m über dem Boden und sagt nun er misst eine Gamma-Ortsdosisleistung von sagen wir mal 0.5uSv/h. Nun hat Unat ja auch ne erhebliche Betastrahlung. Laut ICRP 38 gelten folgende mittlere Beta Reichweiten in Luft:

mittlere Beta Energie in MeV / mittlere Reichweite in Luft in Meter
0.1/0.13
0.2/0.4
0.5/1.7
1.0/4.1
3.0/14

Die mittlere Energien der Beta Emissionen von Pb214 liegt so zwischen 0.2 und 0.3keV, wie groß ist dann der Messfehler für eine Gamma-ODL? Kann ein 1mm dickes Alugehäuse den Messfehler komplett eliminieren? Kann man den Messfehler durch einen passenden Konversionsfaktor speziell für Unat kompensieren?  :unknw:   

Lennart

Zitat von: opengeiger.de am 28. Dezember 2023, 08:07SO, nun will ich noch nen möglichen Messfehler in die Runde werfen: Da läuft ein Forist mit seinem Messgerät, das ne gewisse Betaempfindlichkeit hat über einen Straßenbelag aus Granit oder Schlackepflaster, oder gar über ne alte Halde mit Unat. . Er trägt das Messgerät ordnungsgemaäß 1m über dem Boden und sagt nun er misst eine Gamma-Ortsdosisleistung von sagen wir mal 0.5uSv/h. Nun hat Unat ja auch ne erhebliche Betastrahlung. (...)

Der Großteil dürfte doch bereits im Uran durch die Selbstabschirmung absorbiert werden. Der Rest wird durch die darüberliegende Erd- oder Gesteinsschicht geblockt. Was dann noch übrig bleibt erreicht im Mittel kaum das Messgerät und müsste dann noch durch das Gehäuse...

Ich glaube nicht, dass das eine relevante Fehlerquelle ist. Bei Straßenbelag oder Schlackenpflaster dürfte die Selbstabsorption noch größer sein, da das Uran komplett in eine Matrix eingebunden ist.

Zitat von: opengeiger.de am 28. Dezember 2023, 08:07Die mittlere Energien der Beta Emissionen von Pb214 liegt so zwischen 0.2 und 0.3keV

205 keV 44,5 %
225 kev 39 %
335 kev 12,7 %

Du meinst wahrscheinlich 0,2 - 0,3 MeV.

DG0MG

Die Frage hatte ich hier aufgeworfen: https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php?msg=24182

Es wurde übereinstimmend die Meinung vertreten, dass in 1 Meter Höhe der Einfluss der Beta-Komponente vernachlässigbar klein ist.

Das ist aber für meine Begriffe auch kein "gängiger" Messfehler - also ein Fehler beim Messen oder falsches Messen. Viel häufiger kommt doch vor, dass das Messgerät direkt auf den Boden gelegt wird und diese Messwerte dann als Fakt kommuniziert werden. Ein Beispiel dafür ist dieses Video über den Diebner-Reaktor bei Gottow: https://www.youtube.com/watch?v=lc9fUO6Fhy0 Ein Kommentator verbreitete unter fast jedem der vielen Gottow-Videos, dass dort "über 20 µSv/h herrschen". Er hatte seinen GRIF-1 direkt auf den Boden gelegt und glaubte der Anzeige seines Messgerätes mehr, als meiner Erklärung. Auch das amtliche Dokument des BfS mit ~1 µSv/h in Günter Nagels Buch war kein Argument. Sowas begegnet einem immer wieder in den "sozialen Medien".

Für uns ist das klar, aber manch einem doch nicht - da könnte Dein Schüler ansetzen. Beta-Empfindlichkeit verschiedener Consumer-Messgeräte und warum man Abstand halten sollte.

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

opengeiger.de

Sehr gut! :good:
Dann hätt mer des auch  ;)

opengeiger.de

Wer weiss denn oder erinnert sich noch, wo sonst im Forum noch gravierende Fehler besprochen wurden?

Petroman

Zitat von: DG0MG am 28. Dezember 2023, 09:44Die Frage hatte ich hier aufgeworfen: https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php?msg=24182

Es wurde übereinstimmend die Meinung vertreten, dass in 1 Meter Höhe der Einfluss der Beta-Komponente vernachlässigbar klein ist.


Mal eine extra Frage in die Runde: was ist den die "beste" Abstand um zu messen (Gamma/Beta)?
Und dann auch mal gleich: wie lange?

Und dann eingeschränkt: Gebrauchsartikel oder Essen/Trinken.
Grüssen aus Holland.

DG0MG

Zitat von: opengeiger.de am 28. Dezember 2023, 10:29Wer weiss denn oder erinnert sich noch, wo sonst im Forum noch gravierende Fehler besprochen wurden?

Es wurde von einem user mehrfach behauptet, dass sein RadiaCode 25% mehr an Dosisleistung anzeigt, als eine offizielle ODL-Messstelle. Ich habe dazu ebenfalls mehrfach interveniert und darum gebeten, dass er erklärt, wie genau (also nach welchem Verfahren) er gemessen hat bzw. wie der Messwert zustande gekommen ist.
Das ist leider nicht gekommen und so kann ich nur annehmen, dass er den RadiaCode "hingehalten" und abgelesen hat. Bei so niedrigen Dosisleistungen von weit unter 0,20 µSv/h sollte klar sein, dass die Messzeit lang genug sein muss, um unter 5% Standardabweichung zu kommen. Das geht beim RadiaCode nur mit der App und der "Spectrum"-Funktion. Ich hab es selbst an einer ODL-Sonde probiert, es dauert durchaus 10-15 Minuten, aber die Messwerte des RadiaCode nähern sich bis auf wenige nSv an den Live-Wert der ODL-Sonde an.

Für den Schüler:
Nicht nur Werte behaupten, sondern deren Zustandekommen ausführlich und nachvollziehbar beschreiben!
Je niedriger die Dosisleistung oder Aktivität, desto länger muss die Messzeit werden!

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

opengeiger.de

Mein Vorschlag zum statistischen Fehler ist, die Devise auszugeben, dass ein Messwert aus mindestens 100 Zählimpulsen stammen muss. Das kann man sich ganz leicht merken. Dann kann man nämlich sagen, dass die statistische Unsicherheit nicht schlechter als 10% ist, auch leicht zu merken :) .

Das zwingt einen dann nämlich auch zu schauen, wie hoch die Zählrate ist und damit muss man die Messzeit für mindestens 100 Zählimpulse ausrechnen.

Die andere Devise ist, eine Messung, wo man die Zählimpulsrate nicht kennt taugt nichts :-\ .

DG0MG

Wenn Du Zählrohre als Messtechnik voraussetzt, dann ist das so. Ich hätte sogar eher für 400 Impulse plädiert, um unter 5% zu kommen - so macht es auch die Mittelungsfunktion des 6150AD6. Ich weiß nicht, ob diese in Deinem AD4 schon implementiert ist.

So kann man aber beim RadiaCode nicht rangehen und vermutlich auch bei jedem anderen spektrometrisch messenden Gerät nicht. Da muss die Anzahl der Impulse *erheblich* höher sein, damit das Gerät/die App mit einem halbwegs vernünftigen Spektrum rechnen und die DL ermitteln kann. Bestimmte Energien kommen ja häufiger, als andere. Wenn der RadiaCode also etwa 10 cps anzeigt, reicht es BEI WEITEM nicht, 10 Sekunden für 100 Impulse oder 40 Sekunden für 400 Impulse abzuwarten.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

opengeiger.de

Ja, klar, die 100 Pulse für 10% gelten zunächst nur für ein zählrohrbasiertes Instrument, das nicht spektral auflöst.

Aber nehmen wir doch mal einen Radiacode. Angenommen ein Student der Agrarwissenschaften hört, dass Düngemittel Radionuklide enthalten und will das messen. Dazu kauft er sich nen Radiacode. Dann steckt er diesen in einen Sack mit mit Kaliumdünger. Nun hat uns Peter doch grob die Energieeffizienz rausgemessen. Damit bekommt man die Zahl A mit welcher man die Counts in den Bins beim Kalium für die Energiekompensation multiplizieren muss und damit auch deren Streuung. Kann man dann nicht sagen, dass er warten muss, bis er unter dem Kaliumpeak A*100 Pulse hat, wenn er sonst nichts im Spektrum hat, um die Unsicherheit von 10% imkompensierten Spektrum sicherzustellen?

NoLi

Zitat von: opengeiger.de am 30. Dezember 2023, 10:31...
Das zwingt einen dann nämlich auch zu schauen, wie hoch die Zählrate ist und damit muss man die Messzeit für mindestens 100 Zählimpulse ausrechnen.

Die andere Devise ist, eine Messung, wo man die Zählimpulsrate nicht kennt taugt nichts :-\ .
Die wenigsten Consumer-Geräte gestatten eine Impulssummierung über die Zeit...und hochrechnen ist wegen der Statistik leider nicht sinnvoll; sollen deren Messraten (in Dosisleistung oder CPM) dann alle nichts Wert sein?

Norbert

kKernig

Um den statistischen Fehler bei einfachen/günstigen Messgeräten abzuschätzen, die nur die Äquivalentdosis anzeigen, halte ich es für sinnvoll, erstmal zu bestimmen, wie viele Pulse in welcher Zeit zu welcher angezeigten Dosisleistung umgerechnet werden. Bei den weit verbreiteten "Chinazählern" wird oft auch ein über längere Zeit gemittelter Wert angezeigt, der sich hierfür gut eignet.

Beispiel:
Bei meinem XR1 wird neben dem "Momentanwert" (ca. 20 Sekunden Zeitkonstante) auch ein länger gemittelter Wert angezeigt ("AVG", 5 Min Zählzeit). Nach Zurücksetzen der "AVG"-Anzeige habe ich dann die Ticks nach Gehör gezählt, bis wieder ein "AVG"-Wert angezeigt wurde: 130 Pulse, bei angezeigten 0,19 µSv/h. Umgerechnet bedeutet es, dass dieser Geigerzähler bei 137 CPM 1 µSv/h anzeigen sollte.

[130/5 min = 26 CPM;  26 CPM/0,19 µSv/h ~= 137 CPM/(µSv/h)]

Mit diesem Wert kann ich nun die Messzeit abschätzen, die ich brauche, um eine gewisse Pulszahl und damit statistische Genauigkeit zu erreichen. Lege ich das Gerät z.B. auf einen Schlacke-Pflasterstein, und der Momentanwert schwankt um 0,45 µSv/h herum, weiß ich, dass das Gerät etwa 60 CPM misst und ich mit dem 5-minütigen Zeitmittel insgesamt etwa 300 Pulse messe, was nach √N/N etwa 5% statistischem Fehler entspricht.

Natürlich wäre es falsch zu sagen: "Der Pflasterstein hat 0,45 µSv/h ± 5%! Habbich genau gemessen!", wenn man sonst keine Angaben zur Messung macht. Aber zur ersten Einschätzung und zum Vergleich der Gammastrahlen-Aktivität finde ich dieses Vorgehen durchaus in Ordnung.

opengeiger.de

Zitat von: NoLi am 30. Dezember 2023, 12:09Die wenigsten Consumer-Geräte gestatten eine Impulssummierung über die Zeit...und hochrechnen ist wegen der Statistik leider nicht sinnvoll; sollen deren Messraten (in Dosisleistung oder CPM) dann alle nichts Wert sein?

Norbert
Also der Joy-It Billig-China Zähler kann wahlweise uSv/h oder cpm ausgeben.  Jetzt kann ich mir doch die cpm-Zahlenwerte anschauen und in Gedanken grob einen Mittelwert bilden. Dann nehm ich 100 und teile das durch diesen Mittelwert, dann bekomm ich grob ne Messzeit, in der ich Messwerte, die das Gerät produziert aufschreiben und mitteln muss. Und zur Vorsicht kann ich die Messzeit noch etwas verlängern. Das müssts doch sein?

opengeiger.de

Zitat von: opengeiger.de am 30. Dezember 2023, 10:31Kann man dann nicht sagen, dass er warten muss, bis er unter dem Kaliumpeak A*100 Pulse hat, wenn er sonst nichts im Spektrum hat, um die Unsicherheit von 10% imkompensierten Spektrum sicherzustellen?


Muss mich selbst korrigieren: Er muss dann A^2*100 Zählimpulse abwarten. Denn durch die Energiekompensation verstärkt sich die Streuung zwar auch um A, da sich aber die Streuung aus der Wurzel der Anzahl Zählimpulse berechnet, muss man mit A^2 mal mehr Zählimpulsen gegensteuern damit das dann nach der Anwendung der Wurzelfunktion zu A wird und den Effekt auch richtig kompensiert. Stimmt doch oder?