Physikunterricht und niedrige Freigrenzen...

[Radium]

Wir hatten lange Zeit in der Physiksammlung in einem dicken Bleischrank 3 Radioaktive Strahler. 1x Cs-137, 1x Sr/Y-90, 1x Am-241. Die genauen Aktivitäten weiss ich nicht genau, es war aber in einem Meter Entfernung noch ca. 1 mR/h mit dem DP-66 (ja, den habe ich in der Schule gehabt  ) Jetzt wurden die 3 Strahler entsorgt (das winzig kleine Stückchen Pechblende durfte bleiben) und durch einen 10 kBq Ra-226 Strahler ersetzt. Das soll Alpha, Beta und Gammastahlung auf ein mal machen. Nur ist leider die Aktivität so gering, das viele Experimente, wie zum Beispiel einen Plattenkondensator mit Alpha-Strahlung zu entladen gar nicht mehr funktionieren oder man muss 5 Tage warten, bis sich was tut. Ich habe mal meinen DP-66 da rangehalten und war unterwältigt, fast jeder alte Wecker strahlt stärker. Die Folge davon ist, das das Thema Radioaktivität im Physikunterricht meistens von den Lehrern ganz weggelassen wird, weil die Experimente nicht mehr funktionieren. So kommt es, das der Durchschnittliche Schüler an unserer Schule noch nie ein Alpha Partikel zu Gesicht bekommen hat oder sogar weiß, was das ist.Was soll das??

[Kermit]

Was soll das??

Tja, da kann man leider viel philosophieren... , die Folgen sieht man dann an den vielen Kommentaren unter diversen Videos und Internetblogs.

Leider hat das auch Auswirkung auf die künftigen Studenten zum Beispiel in Bereich "Medizin" und "Medizinische Physik" oder bei der Ausbildung zum MPE (Medizinphysikexperte). Die jungen Leute haben in vielen Fällen noch nie ein  Messgerät für ionisierende Strahlung (z.Bsp. Geigerzähler) selbst mal in der Hand gehabt oder gesehen...

[Radium]

Und die endfenster-Zählrohre in der Physiksammlung werden auch nie benutzt, da ist ganz dick Staub drauf. Nur weil dumme Leute dummes Zeug mit Strahlern gemacht haben und sonst was Bekommen haben, werden uns für unempfindlichere Messgeräte gut messbare Strahler vorenthalten.

[Henri]

Was soll das??

Tja, mein aufrichtiges und ernst gemeintes Beileid.

Zu meiner Schulzeit hatten wir sogar die Röntgen-Experimentieranlage von Phywe, alle haben sich schon Wochen vorher drauf gefreut, wenn die im Lehrplan "dran" war. Nun habe ich gehört, auch diese wurden schon vor einiger Zeit "aus dem Verkehr gezogen".

Im Chemieunterricht soll es aber auch nicht besser aussehen. Bei mir war mindestens jede zweite Stunde ein von den Schülern selbst durchgeführter Versuch dran, entsprechend motiviert und fit waren wir auch und hatten Lust aufs "Entdecken". Wenn man nicht sorgfältig gearbeitet hat, hat der Versuch nicht funktioniert, also war man sorgfältig... Nun kann sich das wohl keine Schule mehr finanziell leisten.

Ich denke, solche (in meinen Augen) überbordende Bürokratie und Sparen an der falschen Stelle (nämlich,  echte Experimente durch Lernsoftware / virtuelle Experimente zu ersetzen) wird sich extrem negativ auf das Innovationspotential Deutschlands auswirken - bzw. macht es doch schon längst. Die großen Erfindungen kommen mittlerweile ja aus anderen Ländern.



PS:

Vor einiger Zeit hat sich hier öfters mal "Stoppi" zu Wort gemeldet. Der ist wohl (engagierter) Lehrer und hat die Sache in die eigene Hand genommen. In wieweit sich das, was er teilweise macht, in einer "rechtlichen Grauzone" bewegt oder nicht, sei mal dahingestellt, aber wenn ich heute noch mal die Schulbank drücken müsste, würde ich mir jedenfalls so einen als Physiklehrer wünschen.

https://stoppi-homemade-physics.de/

[DG0MG]

Das führt natürlich auch unweigerlich zu der Frage, wieviele weitere "engagierte" Lehrer oder Bildungskräfte hier im Forum so angemeldet sind.
Vermutlich nicht sehr viele, was wiederum Ausdruck dafür ist, warum sich die Physiklehrer ihre Präparate wegnehmen lassen: Weil sie keine Lobby haben.

[NoLi]

Das führt natürlich auch unweigerlich zu der Frage, wieviele weitere "engagierte" Lehrer oder Bildungskräfte hier im Forum so angemeldet sind.
Vermutlich nicht sehr viele, was wiederum Ausdruck dafür ist, warum sich die Physiklehrer ihre Präparate wegnehmen lassen: Weil sie keine Lobby haben.

Leider hat die ganze Sache mit Lobby etc. nichts zu tun.

Es gibt seit dem Jahr 2001 strahlenschutzrechtliche Vorschriften, dass eine Schule, wenn sie Strahlenquellen (einzeln oder in der Summe) über der Freigrenze besitzt, eine oder mehrere Lehrkräfte zu Strahlenschutzbeauftragten benennen und die Aufsichtsbehörde diese bestellen muß. Zu dieser Bestellung ist ein bestandener Prüfungslehrgang Strahlenschutz (regelmäßig alle 5 Jahre) für den schulischen Bereich notwendig. Da diese Bestellung allerdings auch mit persönlichen haftungsrechtlichen Pflichten verbunden ist, diese Lehrkräfte allerdings durch die Schulbehörden keinerlei Wertschätzung (z.B durch Höhergruppierung) erfahren, sind kaum noch Lehrkräfte bereit, diese Funktion auszuüben.

Die Bauartzulassung (mit Ausnahmen bzgl. Umganggenehmigungen und Dichtheitsprüfpflichen) für genehmigungsflichtige Strahlenquellen wurde im Jahr 2001 ebenfalls abgeschafft (bei Dichtheitsprüfungen mit Übergangszeit bis 2007). Da Genehmigungen und vor allem die regelmäßigen Dichtheitsprüfungen Gebühren kosten, welche von den Kultusbehörden nicht übernommen werden, mußten alle entsprechend nicht genehmigten und ungeprüften Strahler entsorgt werden.

Die Strahlenquellen müssen in vorgeschriebenen Sicherungsbereichen aufbewahrt werden...auch dies konnten oder wollten Schulen nicht bewerkstelligen.

Und zuletzt die bei den Worten "Strahlung, Radioaktivität" hyperventilierenden Eltern, welche Schulen und Lehrern mit Anwälten wegen möglicher vorsätzlicher Körperverletzung ihrer Sprößlinge drohen.

Man sieht, die Abschaffung dieses Themas teilweise aus den Lehrplänen beruht nicht nur alleine auf den Willen der Lehrkräfte, sondern auch auf strahlenschutzrechtichen Vorgaben und auf politische und soziale Forderungen.

Norbert

[Radium]

Und dann wundert man sich über allgemeine Blödheit und Panik, sobald das Wort "Atom" fällt. Oder über irgendwelche Röntgen-Unfälle, weil die Verursacher nie davon gehört haben, das so etwas vielleicht gefährlich ist. Wir haben in der Physiksammlung noch eine Kaltkathoden-Röntgenröhre, bei der allerdings fein säuberlich die Anschlusskappen entfernt wurdenum etwaigen Betrieb zu unterbinden.
Gruß Fiete

[Dsl71]

Vor einiger Zeit hat sich hier öfters mal "Stoppi" zu Wort gemeldet. Der ist wohl (engagierter) Lehrer und hat die Sache in die eigene Hand genommen. In wieweit sich das, was er teilweise macht, in einer "rechtlichen Grauzone" bewegt oder nicht, sei mal dahingestellt, aber wenn ich heute noch mal die Schulbank drücken müsste, würde ich mir jedenfalls so einen als Physiklehrer wünschen.

https://stoppi-homemade-physics.de/

Wow, Er kommt ja aus meiner Stadt, coole Projekte auf der Seite, Danke fürs teilen.

[Henri]

Wow, Er kommt ja aus meiner Stadt, coole Projekte auf der Seite, Danke fürs teilen.

Oh, das ist ja klasse!! Vielleicht ergibt sich ja mal die Gelegenheit, sich auf einen Kaffee zu treffen? 

[NoLi]

...
Und zuletzt die bei den Worten "Strahlung, Radioaktivität" hyperventilierenden Eltern, welche Schulen und Lehrern mit Anwälten wegen möglicher vorsätzlicher Körperverletzung ihrer Sprößlinge drohen.
...

Hier mal ein "abschreckendes Beispiel" für den Besuch zu einem Schülerlabor mit einem Experimentiertag zur Radioaktivität:

https://www.physik.fu-berlin.de/physlab/schuelerlabor/skripte/radioaktivitaet-elternbrief.pdf

Norbert

[NuclearPhoenix]

...
Und zuletzt die bei den Worten "Strahlung, Radioaktivität" hyperventilierenden Eltern, welche Schulen und Lehrern mit Anwälten wegen möglicher vorsätzlicher Körperverletzung ihrer Sprößlinge drohen.
...

Hier mal ein "abschreckendes Beispiel" für den Besuch eines Schülerlabors mit einem Experimentiertag zur Radioaktivität:

https://www.physik.fu-berlin.de/physlab/schuelerlabor/skripte/radioaktivitaet-elternbrief.pdf

Norbert

Ohne Worte... Sowas gibt's auch nur in Deutschland, oder?

[Radium]

Ich glaube ja. Geheimtipp um sich den verbotenen Alpha******** zu besorgen: Dänische Rote-Kreuz Läden, dort gibt es diese runden Dinger, die man sich an die Decke hängt für umgerechnet 17 Cent. Damit kann man ein paar sehr interessante Experimente mit machen.
Gruß Fiete

[Radium]

...
Und zuletzt die bei den Worten "Strahlung, Radioaktivität" hyperventilierenden Eltern, welche Schulen und Lehrern mit Anwälten wegen möglicher vorsätzlicher Körperverletzung ihrer Sprößlinge drohen.
...

Hier mal ein "abschreckendes Beispiel" für den Besuch zu einem Schülerlabor mit einem Experimentiertag zur Radioaktivität:

https://www.physik.fu-berlin.de/physlab/schuelerlabor/skripte/radioaktivitaet-elternbrief.pdf

Norbert

Das ist ja wohl der Hammer  🔨 , das ist ja wohl ein Witz! 3,3 kBq ist ja gar nichts, welche Experimente will man denn damit noch machen?

[NoLi]

...
Ohne Worte... Sowas gibt's auch nur in Deutschland, oder?

Ob dies nur in Deutschand so ist, weiß ich nicht...kann es mir aber gut vorstellen.
Die Infos über die anwaltsdrohenden Eltern stammen übrigens von Lehrkräften, die mit ihren Schülern unser "Schülerlabor Radioaktivität/Strahlenschutz" des Fortbildungszentrums des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) zu Praktika besuchten.

Dazu noch ein Beitrag:
Ein Ex-Kollege und Kurstechniker mit sehr guten Verbindungen zum Kernkraftwerk Philippsburg wollte Anfang der 2000er Jahre einen Spezialtag für Schüler der Klasse seines Sohnes (Oberstufe Gymnasium) mit Vorträgen, Diskussionen und Experimenten im Besucherzentrum des Kraftwerks organisieren und stellte diese Idee beim Elternabend/Elternversammlung am Schuljahresanfang der Versammlung vor. Darauf hin wurde er sofort von einigen Eltern vehement massiv verbal angegangen, Zitat "ob er ihre Kinder mit solch einem Tag töten wolle"...

Norbert

[Henri]

Ich glaube ja. Geheimtipp um sich den verbotenen Alpha******** zu besorgen: Dänische Rote-Kreuz Läden, dort gibt es diese runden Dinger, die man sich an die Decke hängt für umgerechnet 17 Cent. Damit kann man ein paar sehr interessante Experimente mit machen.
Gruß Fiete

Schauen wir mal, ob das wirklich ein Geheimtip ist: mehr oder weniger als 10 kBq??