Radium Uhr

Begonnen von Raddet, 30. September 2023, 13:59

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Raddet

Beinahe-Perpetuum Mobile

Für einen Mathematiker hat der Ausdruck "fast immerwährend" nichts Verlockendes. Bewegung kann entweder ewig oder immerwährend sein; "fast ewig" bedeutet im Wesentlichen ewig.

Aber für das praktische Leben ist das nicht so. Viele Menschen wären wahrscheinlich ganz zufrieden, wenn sie nicht nur ein Perpetuum mobile, sondern ein "fast perpetuum mobile" zur Verfügung hätten, das sich zum Beispiel mindestens tausend Jahre lang bewegen könnte. Das menschliche Leben ist kurz, und tausend Jahre sind für uns das Gleiche wie die Ewigkeit. Praktisch veranlagte Menschen würden wahrscheinlich der Meinung sein, dass das Problem des Perpetuum mobile gelöst ist und dass es nichts mehr zu rätseln gibt.

Solche Menschen kann die Nachricht erheitern, dass die 1000-Jahres-Maschine bereits erfunden wurde; jeder kann mit einem gewissen Geldbetrag eine Art Perpetuum mobile besitzen. Das Patent für diese Erfindung hat sich niemand genommen, und sie ist auch kein Geheimnis. Die Konstruktion der von Prof. Strett 1903 erfundenen und gemeinhin als "Radiumuhr" bezeichneten Vorrichtung ist nicht schwierig.

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Eine Radiumuhr mit einem "fast ewigen" Aufzug für 1600 Jahre.
In einem Glasgefäß, aus dem die Luft abgepumpt wurde, hängt an einem Quarzfaden B (der keine Elektrizität leitet) ein kleines Glasrohr A, das einige Tausendstel Gramm Radiumsalz enthält. Am Ende des Röhrchens sind, wie bei einem Elektroskop, zwei Goldblätter aufgehängt. Radium ist dafür bekannt, dass es drei Arten von Strahlen aussendet: Alpha-, Beta- und Gammastrahlen. In diesem Fall spielen die Betastrahlen die Hauptrolle, da sie das Glas leicht durchdringen und aus einem Strom von negativ geladenen Teilchen (Elektronen) bestehen. Die vom Radium in alle Richtungen gestreuten Teilchen tragen eine negative Ladung mit sich, so dass die Radiumröhre selbst nach und nach positiv geladen wird. Diese positive Ladung wird auf die Goldblätter übertragen und führt dazu, dass sie sich auseinander bewegen.

Nachdem sie sich auseinander bewegt haben, berühren die Blätter die Wände des Gefäßes, verlieren hier ihre Ladung (an den entsprechenden Stellen der Wände sind Folienstreifen aufgeklebt, durch die der Strom entweicht) und schließen sich wieder. Bald sammelt sich eine neue Ladung an, die Blätter trennen sich wieder, geben ihre Ladung wieder an die Wände ab und schließen sich wieder, um erneut elektrisiert zu werden. Alle zwei oder drei Minuten findet eine Schwingung der goldenen Blätter statt, mit der Regelmäßigkeit eines Stundenpendels - daher der Name "Radiumuhr". So geht es ganze Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte weiter, solange die Emission von Radium durch seine Strahlen anhält.

Der Leser sieht natürlich, dass er keineswegs eine "ewige" Uhr vor sich hat, sondern nur eine Geschenkmaschine.

Wie lange sendet Radium seine Strahlen aus? Es steht fest, dass sich die Fähigkeit des Radiums, Strahlen zu emittieren, in 1600 Jahren halbieren wird. Deshalb wird die Radiumuhr nicht weniger als tausend Jahre ununterbrochen laufen, wobei nur die Frequenz der Schwingungen wegen der Schwächung der elektrischen Ladung allmählich abnimmt. Wenn solche Radiumuhren in der Epoche der Entstehung Russlands aufgestellt worden wären, würden sie noch in unserer Zeit funktionieren!

Ist es möglich, diese Geschenkmaschine für irgendwelche praktischen Zwecke zu nutzen? Leider nein. Die Leistung dieses Motors, d. h. die Menge an Arbeit, die er pro Sekunde verrichtet, ist so gering, dass kein Mechanismus damit angetrieben werden kann. Um greifbare Ergebnisse zu erzielen, ist ein viel größerer Vorrat an Radium erforderlich. Wenn wir bedenken, dass Radium ein extrem seltenes und teures Element ist, sind wir uns einig, dass ein solcher Geschenkmotor zu ruinös wäre.

Radioquant98

Auch Glas ist doch nicht unendlich dicht, oder? Es diffundieren Gase hindurch und bringen das Gebilde eher zum Stillstand.

Viele Grüße
Bernd

Kermit

Zitat von: Radioquant98 am 30. September 2023, 16:49Auch Glas ist doch nicht unendlich dicht, oder? Es diffundieren Gase hindurch und bringen das Gebilde eher zum Stillstand.

Zitat von: Raddet am 30. September 2023, 13:59Beinahe-Perpetuum Mobile

Du hast Recht, Glas ist nicht vollständig dicht, hat aber fasziniernde Eigenschaften: unter anderem kann es als sehr zähe Flüssigkeit angesehen werden (in der Physik teilen nicht alle Wissenschaftler diese Aussage). Damit ist zum Beispiel eine Art "Selbstheilung" von Materialschwächen des Glases erklärbar, die durch Spannungen im Glas auftreten.

Als Stichwort für die erstaunlichen Eigenschaften von Glas sein hier mal die "Bologneser Träne" in den Raum geworfen. Auch die Glasbearbeitung von Autoglas als Sicherheitsscheibe für Seitenfenster gehört in diese Rubrik  ;)

Wie hoch das Vakuum sein muss, habe ich nicht nachgesehen, es ist aber durchaus denkbar, das die Gasdiffusion so gering ist, das die obige "Radiumuhr" etliche 100 Jahre funktioniert, ehe das Vakuum dafür nicht mehr ausreichend ist. Eine Strahlenversprödung des Glases, wie sie bei Hochleistungs-Sende-Röhren und bei Röntgenröhren auftritt, kann man sicher ausschließen, da nur wenig Radium notwendig ist.

Wir sind mittlerweile 120 Jahre weiter in der Materialwissenschaft, so daß man davon ausgehen kann, das erheblich bessere Glas- oder Glasverbundmaterialien zur Verfügung stehen. Auch die Temperaturkoeffizenten der verschiedenen Gläser - wichtig bei materialbedingten Temperaturspannungen im Glasmaterial - sind heute deutlich besser.
Dies ist einer der Gründe, warum neben Carbonverbindungen und Edelstählen, Glas immer noch eine wichtige Rolle bei Experimentalsaufbauten mit Vakuumanlagen spielt.

Etliche Jahre lang haben zum Bsp. Vakuumröhren, Geißlerröhren und Braunsche Röhren die Elektronik bestimmt und diese sind auch heute noch nutzbar, obwohl einige dieser Röhren aus den 1920er Jahren stammen.

1000 Jahre mag zwar etwas ambitioniert klingen, aber einige 100 Jahre würde ich der "Radiumuhr" schon zutrauen ;D

Ein interessanter Fund von Raddet :)










NuclearPhoenix

Das erinnert mich irgendwie an betavoltaischen ("betavoltaic") Batterien, mit Tritium oder früher sogar Plutonium. Daran sieht man zwar keinen so schönen Effekt wie hier, aber Strom fließt trotzdem. Hier mal ein Beispiel dafür:

https://citylabs.net/technology-overview/nuclear-battery-technology/
https://citylabs.net/products/

Anscheinend gibt es die sogar tlw. im Milliwattbereich. Wie viel sowas kostet will ich gar nicht wissen und nach wenigen Halbwertszeiten sind die vermutlich eh schon wieder unbrauchbar. Da ist so eine Radiumuhr deutlich langlebiger ;)

Raddet

Hier ist ein weiteres Installationsdiagramm. Schade, dass die restlichen Parameter nicht angegeben sind. Jemand hat definitiv schon vor langer Zeit eine solche Uhr hergestellt.
Radioaktivität. Eindeutig...

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Raddet

Zitat von: Kermit am 30. September 2023, 21:47Ein interessanter Fund von Raddet :)

Es war einmal, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts (ich war damals in der Schule), ich las das Buch ,,Yakov Perelman: Entertaining Physics". Es war da.
Dann vergaß ich es und dann fiel mir plötzlich ein...

Raddet

Zitat von: NuclearPhoenix am 30. September 2023, 22:34Anscheinend gibt es die sogar tlw. im Milliwattbereich.

Ich habe sogar einmal überlegt, wie eine solche Zelle hergestellt werden könnte. Man braucht einen sehr starken, reinen Betastrahler (folglich - kurze Halbwertszeit und kurze Batterielebensdauer. Leider.) und dann ist es wie der Schaltkreis in dieser Uhr. Es gibt eine Ladung, also kann man den Kondensator aufladen. Und ein geladener Kondensator bedeutet, dass man etwas mit Strom versorgen kann. Etwas mit sehr geringem Stromverbrauch...

Diese Zellen gibt es schon seit langem. Aber ihre Leistung ist vernachlässigbar, und ihre Lebensdauer ist selbst bei vernachlässigbarer Leistung mit der von Lithiumzellen vergleichbar. In der gegenwärtigen Umsetzung machen solche Zellen also keinen Sinn.

NoLi

Zitat von: Raddet am 30. September 2023, 23:48...
Diese Zellen gibt es schon seit langem. Aber ihre Leistung ist vernachlässigbar, und ihre Lebensdauer ist selbst bei vernachlässigbarer Leistung mit der von Lithiumzellen vergleichbar. In der gegenwärtigen Umsetzung machen solche Zellen also keinen Sinn.
Nimmst Du Sr-90, ist seit Jahrzehnten (groß)technisch erprobt... ;D

Norbert