Reise mit privatem Guide nach Chernobyl/Pripjat April/Mai 2020

Begonnen von emanator, 25. September 2019, 13:51

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Floppyk

Mich erschließt überhaupt nicht warum man dort überhaupt hin muss, bzw. warum das ein reizvolles Reiseziel sein soll. Tatsache ist doch, dass die persönliche Dosis in jedem Fall ansteigen wird, was schon einmal im Grundsatz ein gesundheitliches Risiko ist. Weit schlimmer finde ich noch, dass es unvermeidlich sein wird, dass man radioaktive Partikel einatmen oder auf andere Art inkorporieren wird.

sh4711

Man muss ja nicht hinfahren. Und ob es reizvoll ist, duerfte individuell unterschiedlich sein.
Fuer _mich_ z.B. nicht reizvoll ist samstags ins Fussballstadion zu gehen oder am Baller-
mann zu saufen. Und vieles andere mehr.

Ja, die Dosis steigt. Faehrt man mit dem Bus in die Ukraine und nicht mit dem Flieger ist
es schonmal nur noch die Haelfte (bei einem Eintagestrip in die Zone). Die logische Konse-
quenz: Nirgendwo mehr hinfliegen. Stattdessen am Besten zuhause umziehen an einen Ort
mit niedriger Hintergrundstrahlung. Dann aber bitte gleich auf die Radonbelastung im Keller
achten.

Inkorporation: Natuerlich moeglich (genauso wie wenn man bayrisches Wildschwein isst).
Nach langen Trockenphasen oder den beruehmten Waldbraenden sicher deutlich erhoeht.
Oder bei Besuchen in Burjawika wenn die LKWs dauernd ihren Dreck abkippen. Oder frueher,
als die diversen Keller noch nicht abgesoffen waren. Da nimmt man dann die Atemmaske.

Am Schluss muss es jeder mit sich selber ausmachen. _Ich_ denke, dass die Gefahr ver-
gleichbar niedrig ist wenn man sich nicht voellig danebenbenimmt. Die Strahlung von aussen
kann man jedenfalls vergessen - man uebernachtet nicht im roten Wald oder in Pidlisny und
dgl. Ein ordentliches CT beamt da schon mehr. Bleibt die Inkorporationsgefahr - die sehe
auch ich deutlich kritischer als alles andere. Dazu kommt, dass man keine Ahnung hat ob
man sich was eingefangen hat oder nicht. Die aeussere Strahlung kann man ja zumindest
groessenordnungsmaessig erfassen.

Floppyk

Völlig richtig. Aber man muss das Risiko als solches unterscheiden und in (weitgehend) unvermeidbares Risiko und bewusst in Kauf genommene Risiken aus purer Freizeitlust.
Aber klar, das Leben ist immer Risiko und wie jeder damit umgeht muss jeder selbst wissen.
Wer beruflich mit Radioaktivität umgeht hat aber den Grundsatz, so wenig wie möglich. Vermeidung wo immer möglich.

sh4711

Zitat von: Floppyk am 02. August 2020, 12:23
Wer beruflich mit Radioaktivität umgeht hat aber den Grundsatz, so wenig wie möglich. Vermeidung wo immer möglich.
Soweit die Theorie. Denn bei konsequenter Befolgung wuerde dies in der Praxis
bedeuten, sich sofort einen anderen Beruf suchen zu muessen. Nur dann waere
"Vermeidung wo immer möglich" am besten erfuellt :-).

In der Praxis wissen diese Leute aber am ehesten, worauf sie sich einlassen bzw.
koennen die moeglichen Gefahren noch am besten abschaetzen.




NoLi

Zitat von: sh4711 am 01. August 2020, 22:10
Ja, liest man immer wieder in den Jahresberichten des BfS in der Rubrik
"Besondere Vorkommnisse". Unglaublich, wieviele Emanatoren und Flug-
zeug-Anzeigen noch herumgeistern. Beachtlich sind auch die vielen "Pa-
tientenverwechslungen" in Kliniken...
https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-2018112017017/1/JB2016_14112018.pdf
(Seite 344 -352)

Gruß
Norbert

Janni

Jetzt kommt mein Senf zu dem Thema:

Ich war paar mal schon in der Tschernobyl Zone und es kommt definitiv auf den Guide an, ob man ein Partikel ausgraben darf oder nicht. Manche verbieten fast alles und andere nicht. Manche Guides finden es ja auch selber interessant.  ;)

Ich hab auch schon nach solchen kleinen Partikeln gegraben. Es geht natürlich auch nur auf einer privaten Tour, wenn man mit wenig Leuten oder allein mit dem Guide dort unterwegs ist.

Ich würde mich nicht trauen, das Partikel aus der Zone raus zu nehmen. Ich denke zwar, es würde rein theoretisch gehen in einem Bleibehälter im Auto, so genau werden die Autos nach meiner Erfahrung nicht kontrolliert. Aber falls doch, gibt es viel Ärger für den Guide und der ist dann evtl. auch seinen Job los und daran möchte ich nicht Schuld sein.

Außerdem hat man dann bestimmt spätestens ein Problem am Flughafen. Ich habe jedenfalls definitiv schon an Flughäfen Detektoren für Strahlung gesehen und bei einem kleinen Bleibehälter im Gepäck würden die sich bestimmt auch wundern.

Mit dem Auto bin ich noch nie in die Ukraine gefahren. Aber an den Grenzen zwischen Russland, Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan hab ich auch schon Detektoren gesehen.

Wenn man eine kleine Frucht oder etwas Moos aus Pripyat mitnimmt, um es z.B. in der Heimat mit einem Germaniumdetektor zu messen, dann merkt das keiner, wenn man es bei der Kontaminationskontrolle im Auto lässt.  :) Ist natürlich auch nicht erlaubt.  ;)

Bin gerade im Urlaub. Wenn ich wieder in der Heimat bin, kommt ein Foto und irgendwann Youtube Video vom Partikel.  ;D


NoLi

#51
Für die von Janni genannten Ländern, den Balkan-Staaten sowie auch für Georgien finden beim Joint Research Center Karlsruhe (EU-Institution) seit etlichen Jahren regelmäßige Schulungen und Übungen für dortige Polizei-, Zoll- und Sicherheitskräfte statt, im Auftrag der International Atomic Energy Agency IAEA, Wien und der EU. Die IAEA und die EU haben die dortigen Kräfte mit modernsten Strahlenspür- und -analysgeräten ausgestattet, für den mobilen wie stationären Einsatz.

https://www.dw.com/de/eu-trainiert-atomfahnder/a-16802817

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/kampf-gegen-atomschmuggler-100.html



https://www.presseportal.de/pm/105413/3925326

https://www.mainpost.de/regional/main-tauber/Die-Atom-Detektive;art21526,6009365

Mir war es vergönnt, in den Anfangsjahren beim Aufbau und in der Durchführung der Trainings mitwirken zu dürfen (u.a. auch zusammen mit Scotland Yard und dem FBI...)   :)  8)

Gruß
Norbert

Zugpferd

Na dann scheint es zumindest zu funktionieren das erspähen von "Atomschmugglern" das ist dann ja auch gut so.

Janni, ich wollte Dir bisher nicht schreiben damit Du Deinen nein Euren Urlaub geniessen kannst, interessant für mich wäre wie sich die Zeiten geändert haben während mehrerer Aufenthalte in der Zone.
In den bekannten Videos wird's ja immer unordentlicher in den Gebäuden... kannst ja schreiben wenn Ihr wieder da seid.

sh4711

Zitat von: Zugpferd am 03. August 2020, 22:04
interessant für mich wäre wie sich die Zeiten geändert haben während mehrerer Aufenthalte in der Zone.
In den bekannten Videos wird's ja immer unordentlicher in den Gebäuden...
Bis dahin erzaehle ich mal ein bisschen, was sich so in meinen Augen geaendert hat:

Als es bei mir "losging" gabs nur ChII und alles lief ueber die. Es gab auch keine "Touristen"
sondern nur Studiengruppen, Wissenschaftler, Presse, ... Uebernachtet hat man im Containerpark
von ChII. Bis auf wenige Ausnahmen konnte man eigentlichtun und lassen was man wollte und die
Guides (damals "Officer") waren irgendwie alle eine Art Familie und man hat sich gegenseitig
geholfen bzgl. interessanten Orten oder womit man welchen Wachmann in Rassocha, den Blocks 5/6
oder Tschernobyl2 bestechen musste.

Dann kamen Zeiten (2011), in denen die Zone fast ganz geschlossen wurde und auch ChII "stillge-
legt" war. Wir hatten zum Glueck schon lange die "Permits" und konnten auch problemlos "einrei-
sen". Aber ChII war ja formal zu also stellte sich die Frage wo man pennt. Zum Glueck konnte
mein Bekannter den Schluessel fuer den Containerpark organisieren und so wohnten wir da. Frueh
und abends gab es Dosenfras (die "Magazins" waren ja zu) und mittags ging es in die Novarka-
Kantine zum ChickenFish essen (ich weiss bis heute nicht, ob es Chicken oder Fish war).

ChII wurde dann irgendwann aufgeloest und es gab eine Reihe von dauernd wechselnden Verwal-
tungen und Zwischenverwaltungen - ich habs nie ganz geblickt. Dann kamen auch die ersten
Tour-Anbieter und es begann ein Konkurrenzkampf ("Tour-Veranstalter" gabs vorher auch schon
aber alles wurde durch ChII geschleust und die haben auch die "Programme" festgelegt). Durch
den Konkurrenzkampf begann man sich zu verpfeifen ("Guide X hat gestern Leute zum Ort X ge-
bracht" oder "Guide Y ist gestern in den Keller sowieso gegangen"). Alles Dinge, die formal
schon immer verboten waren, sich aber niemand drum gekuemmert hat.

Dafuer wurde es nach meinem Gefuehl einfacher, offizielle Genehmigungen fuer Orte wie Vector
oder Burjakiwka und dgl. zu bekommen. Am besten liefs als Journalist und wenn man dann den
netten Herrn der jeweiligen Einrichtung noch gefragt hat, ob man ihn photographieren darf,
wurde er noch viel zugaenglicher.

Gleichzeitig stiegen auch die Zahlen der Besucher auf den Trampelpfaden. Ich erinnere mich
an einen Tag 2014, an dem wir in Pripjat "was nachsehen" wollten und dazu ueber den Zentral-
platz gefahren sind. Es standen dort 4 Busse und zwar richtige, keine Minibusse, und die
entsprechende Anzahl von Leuten.
Die Raeume von ChII wurden zum Hotel Desjatka umfunktioniert. Im ehemaligen Gruppenraum der
Guides wurde ein Restaurant eingerichtet mit Bar (Bier ab 20 Uhr), optional vegetarischem
Essen und LCD-TV an der Wand. Fuer die Tagestouristen ist es schon lange viel zu klein und so
landen die zum Mittagstisch nun ganz offiziell in der AKW-Kantine. Vom Soviet-Flair des ChII
ist jedenfalls nichts mehr zu spueren und somit gehe ich zum Uebernachten immer ins Hotel
Pripjat und nur zum Essen ins Desjatka - sind ja nur 200-300 Meter. Apropos Essen: Das ist
dort wirklich gut und die einzige Verbesserung. Ich konnte mit dem "Ostblock-Fras" des ChII
nie richtig warm werden obwohl man sich echt grosse Muehe gab.

2016 war ich dann zum letzten Mal da. Seitdem sind die Besucherzahlen kontinuierlich nach oben
gegangen und dann kam diese Fernsehserie und das hats wohl noch schlimmer gemacht. Mir geht
die "fruehere" Zone tierisch ab aber so wie es jetzt ist, ziehts mich auch nicht mehr hin...

NoLi

Extra3 - Die Sendung mit dem Klaus: Atomschmuggel



Gruß
Norbert

Zugpferd

Zitat von: sh4711 am 04. August 2020, 10:13
...
Bis dahin erzaehle ich mal ein bisschen, was sich so in meinen Augen geaendert hat:
...
Danke, das war sehr interessant.
Ich stutze etwas über "die Serie" damit ist die von Sky gemeint oder so, korrekt? Lohnt sie sich?



DG0MG

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG


Foto-Urlaub in Tschernobyl
Mit dem Geigerzähler in den Urlaub: Marc Krug erfüllt sich einen Traum. Er fährt nach Tschernobyl. Immer mehr Touristen zieht es dort hin.

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

vulgogurktaler

War inzwischen jemand wieder in der Zone?

Also ich war 2017 für fünf Tage dort im Mai, und eigentlich war es schon viel zu grün und viel zu warm...
Ich denke die Tour hängt sehr von der Agentur und dem entsprechenden Guide ab, der einem auch die "Off limits" Bereiche zeigt!
Mit der Sky-Serie ist der Besucheransturm explodiert, hat sich aber scheinbar wieder gelegt inzwischen und die etablierten Tourbetreiber (z.B. Gamma Travel) haben auch die Pandemie bislang überlebt...

Nächste Tour wäre im Oktober 2021 geplant...

Thema zur Dosis:
Das Dosimeter nach 5 Tagen in der Zone hat weniger gezeigt als ein Flug von Europa nach Australien und wieder Retour.
Obwohl wir echt die ganzen Hotspots gesucht und gemessen haben!

Thema Strahlenmessung:
Die haben unseren Kleinbus immer detailliert aussen und innen überprüft!
In Kiev hat es im Flughafen einiges an Sensorik, z.B. im Eingang/Ausgang, im Abflugbereich und im Gepäckbereich...
Also wenn jemand wirklich etwas behalten will, muss er vermutlich als Stalker in die Zone und über Belarus mit dem Auto ausreissen...

ThomasS

"Price is only an issue in the absence of value" - W. Buffett