Der Silvertbach in Marl, Nordrhein-Westfalen

Begonnen von opengeiger.de, 17. August 2021, 20:31

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opengeiger.de

Habe festgestellt der Ruhrpott hat auch einige interessante Locations zu bieten. Da es unter den Kohlen einige gibt, deren Urankonzentration beträchtlich ist, ergeben sich auf Grund der Wasserlöslichkeit des Radium Grubenabwässer, welche die Umwelt doch ganz erheblich kontaminieren können. Das wiederum ergibt ein ideales Übungsgebiet für den Radiacode 101. Beim Kartieren der Kontaminationen ist er ein äußerst hilfreiches Instrument! Hier ein Erfahrungsbericht aus Marl:
http://opengeiger.de/GeigerCaching/KartierungRC101Marl.pdf

Henri

Es bringt immer wieder großen Spaß, Deine sehr "gehaltvollen" Berichte zu lesen!!

Über das Thema "Radionuklide in Steinkohle" hatte ich schon mal im Zusammenhang mit dem Neubau des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg vor einigen Jahren gelesen. Trotz modernster Filtertechnologie gelangen erhebliche Mengen Radionuklide in die Atmosphäre, siehe z.B. hier auf S. 10:

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/090/1609032.pdf

Zitat
Dem Bericht des UNSCEAR aus dem Jahr 2000 zufolge werden bei einem
Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 600 MWe und moderner Filtertechnik
jährlich folgende Aktivitäten in die Atmosphäre freigesetzt:
Uran-238: 160 Megabecquerel (106 Bq),
Thorium-228: 80 Megabecquerel,
Radium-288: 110 Megabecquerel,
Radon-222: 34 Megabecquerel,
Blei-210: 400 Megabecquerel,
Polonium-210: 800 Megabecquerel und
Kalium-40: 270 Megabecquerel.

Der allergrößte Teil der Aktivität verbleibt natürlich in der Asche und muss deponiert werden - möglichst ohne irgendwann mal Kontakt zum Grundwasser zu bekommen.

Viele Grüße!

Henri

opengeiger.de

Danke fürs Lob! :)
Ja, so ein Kraftwerksfilter wär mal ein spannendes Objekt  :P

Bernd

DG0MG

Die Funde haben es (wiedermal  8) ) inzwischen in die Presse geschafft, sogar mit Namensnennung und Bürgerforscher in Gänsefüßchen.


" Losgezogen mit seinem Messgerät war er, nachdem der Stuttgarter Bernd Laquai, Diplom-Ingenieur und ,,Bürgerforscher", vor gut einer Woche an gleicher Stelle 1,2 Mikro-Sievert pro Stunde gemessen hatte. Normal sind Werte um 0,03 und 0,08 Mikrosievert. Laquai hat die Stadt Marl angeschrieben und in einer umfangreichen Expertise festgestellt, ,,dass dieser Waldweg so stark kontaminiert ist, dass eigentlich eine spezielle strahlenschutzrechtliche Überprüfung erforderlich wäre, über deren Resultat zumindest die Anwohner informiert werden müssten.""

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

kKernig

Heute Nachmittag war ich selbst vor Ort, um mich umzusehen und meinen neuen Geigerzähler (XR1) zu testen. Soweit ich es beurteilen kann, hat sich dort seit 2021 nichts getan. Von Erdarbeiten war keine Spur zu sehen, und an besagtem Waldstück konnte ich mitten auf dem Weg in Bodennähe knapp über 1 µSv/h messen. Da viele Spaziergänger und Hundebesitzer unterwegs waren und ich nicht sehr viel Zeit hatte, habe ich nur sporadisch abseits der Wege nach Hotspots suchen können, jedoch ohne wirkliche Funde. Etwa einen Meter über dem Boden konnte ich Spitzenwerte von ca. 0,8 µSv/h messen, und in einem Bereich von geschätzt 50 Metern Länge Werte über 0,3 µSv/h.

Hinweise auf die vorhandene Radioaktivität gibt es vor Ort keine - abgesehen von dem schon von Bernd fotografierten Strahlenzeichen-Sticker auf dem Straßenschild des Sievertbachs.

Ich bin dem Sievertbach noch ein ganzes Stück nach Osten zwischen den Halden hindurch gefolgt (wie auch Bernd in seinem Bericht). Auch ich konnte hier an verschiedenen Stellen in Ufernähe keine erhöhte Radioaktivität feststellen.

NoLi

Zitat von: kKernig am 30. Dezember 2023, 22:58...
Hinweise auf die vorhandene Radioaktivität gibt es vor Ort keine - abgesehen von dem schon von Bernd fotografierten Strahlenzeichen-Sticker auf dem Straßenschild des Sievertbachs.

Ich bin dem Sievertbach noch ein ganzes Stück nach Osten zwischen den Halden hindurch gefolgt (wie auch Bernd in seinem Bericht). Auch ich konnte hier an verschiedenen Stellen in Ufernähe keine erhöhte Radioaktivität feststellen.
Der Bach heißt zwar offiziell SILVERTBACH, aber Sievertbach finde ich auch ganz treffend... :D

Das abgebildete Gerät ist ein BR-9B und kein XR1. ;)

Norbert

DL8BCN

Bitte noch mal ein kurzes Update zum Silvertbach:
Woher kommt die Kontamination?
Ist das natürliche Radioaktivität?

kKernig

Zitat von: NoLi am 30. Dezember 2023, 23:20Der Bach heißt zwar offiziell SILVERTBACH, aber Sievertbach finde ich auch ganz treffend... :D

Das abgebildete Gerät ist ein BR-9B und kein XR1. ;)

Norbert
Nennt man das Freud'schen Versprecher?  :D

Das Gerät meldet sich beim Einschalten als "XR1", im Online-Angebot war er als BR-9B gelistet. Keine Ahnung, was richtiger ist.

Zitat von: DL8BCN am 31. Dezember 2023, 00:06Bitte noch mal ein kurzes Update zum Silvertbach:
Woher kommt die Kontamination?
Ist das natürliche Radioaktivität?


Der oben verlinkte Artikel der Marler Zeitung sagt, dass es wohl Uferschlamm ist, der bei Bauarbeiten vor vielen Jahren ausgehoben und neben dem Bach deponiert. Die Radioaktivität kommt daher, dass Abwässer des Bergbaus der Zeche Auguste Victoria einen erhöhten Radiumgehalt hatten und sich dieses dort im Uferbereich ablagerte. Der PDF-Bericht von Bernd/opengeiger.de im ersten Beitrag gibt mehr Details und auch Quellen.

opengeiger.de

#8
Edited 31.12.23 20:31h

Gut, nachdem es hier jetzt doch klare Anzeichen dafür gibt, dass an dieser Stelle in Marl seit 2 Jahren rein gar nichts passiert ist  (Dank für den Bericht @kKernig), und hier jetzt auch gezielt nachgefragt wird, möchte ich darauf hinweisen, dass die Kreisverwaltung Recklinghausen nach meinem Besuch dort ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, welches am 22.09.2021 von der beauftragten Firma vorgelegt wurde. Es hat den Titel:

,,Gutachterliche Bewertung der radiologischen Situation eines Waldstückes unmittelbar angrenzend an den Silvertbach in Marl-Hamm; BS-Projekt-Nr. 2108-08; erstellt im Auftrag der Kreisverwaltung Recklinghausen Fachdienst 70 – Fachdienst Umwelt – durch die Brenk Systemplanung GmbH Heider-Hof-Weg 23 52080 Aachen"

Dieses Gutachten unterliegt natürlich dem Urheberrecht, deswegen kann es hier nicht veröffentlicht und den Ewigkeitsarchiven des Internets überlassen werden. Allerdings gibt es ein Umweltinformationsgesetz:

https://www.gesetze-im-internet.de/uig_2005/BJNR370410004.html

mit Erklärungen des Umweltministeriums dazu:

https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/zugang-zu-umweltinformationen

In den Erklärungen heißt es: ,,Das UIG regelt den Zugang zu Umweltinformationen für Bürgerinnen und Bürger. Alle Stellen der öffentlichen Verwaltung des Bundes sowie bestimmte private Stellen sind zur Herausgabe von Umweltinformationen verpflichtet (so genannte informationspflichtige Stellen). Die Stellen der öffentlichen Verwaltung in den Ländern sind nach den jeweiligen Landesgesetzen informationspflichtig." Diese Recht besteht natürlich nicht nur in Marl, sondern gilt auch für andere Umweltkontaminationen, worüber die Behörden Kenntnisse haben.

Das bedeutet in Marl aber, man kann von der Kreisverwaltung unter Hinweis auf das UIG ganz konkret Informationen zum Ergebnis des Gutachtens verlangen. Ein paar Zitate aus dem Gutachten sind aber trotz Urheberrecht auch hier möglich:

Zitat aus der Zusammenfassung:
>>
,, Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass der Grenzwert der effektivenDosis von 1 mSv im Kalenderjahr nicht überschritten wird und somit keine radioaktive  Altlast nach § 136 StrlSchG vorliegt.Dementsprechend sind keine Sofortmaßnahmen im Sinne der Gefahrenabwehr nötig.Wir raten jedoch dazu, im Hinblick auf einen guten strahlenschutztechnischen Umgang mit der Situation und basierend auf § 8 StrlSchG (Vermeidung unnötiger Exposition und Dosisreduzierung) eine Beseitigung der Kontamination im relevanten Bereich des Walstücks vorzunehmen. Dies wäre unserer Einschätzung nach im Zuge einer ohnehin geplanten Umgestaltung/Sanierung des unter strahlenschutzrechtlicher Überwachung stehenden angrenzenden Silvertbaches innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Jahren als vertretbar einzustufen. ,,
<< Zitat Ende

Zitat
>>
,,Das orange eingezeichnete Rechteck zeigt den Bereich, in dem erhöhte Werte der ODL angetroffen wurden (lokal bis zu 1600 nSv/h; im Mittel ca. 800 nSv/h), vgl. Details in Kapitel 8."

<< Zitat Ende

Weiteres Zitat als Bild siehe Anhang.


Zur Kontamination des "Sievertbaches" bzw. richtig des Silvertbaches  (obwohl das ja für die Anwohner nicht zum Lachen ist): Es handelt sich meinem Verständnis nach um Radiumbaryt-Ablagerungen. Die naheliegende Steinkohlegrube wurde von der Bergbaugesellschaft in den Silvertbach entwässert. Die Steinkohle enthält neben Uran und wassergelöstem Radium auch etliche andere im Abwasser gelösten Mineralien, unter anderem Barium. Je nach Milieu des Wassers kommt es zu chemischen Reaktionen, wobei im Wasser gelöstes Radium als wasserunlösliches Radiobaryt ausgefällt und im Bachsediment abgeschieden wird. Durch Hochwasserereignisse aber auch durch das Ausbaggern des Bachbetts wurde das Radiumbaryt dann in unterschiedlicher Aktivitätskonzentration an der Uferböschung abgelagert.



kKernig

Ich finde das Gutachten soweit in Ordnung. Der Waldweg am Ufer wird zwar ausgiebig von Spaziergängern, Radfahrern und Hundebesitzern genutzt, aber es gibt keine Veranlassung, sich dort längere Zeit aufzuhalten. Wie im Bericht berechnet reichen selbst 250 Stunden jährliche Aufenthaltsdauer nicht aus, um den Grenzwert von 1 mSv zu erreichen. Derart lange dürften sich selbst Anwohner, die täglich ggf. mehrmals da langgehen, nicht dort aufhalten. Da es keine scharf begrenzten Hotspots oder "heiße Krümel" wie nach Reaktorunfällen gibt, halte ich es für ausgeschlossen, dass signifikante Mengen versehentlich in der Umgebung verteilt werden.

Die Sanierung der Fläche ist für "die nächsten Jahre" empfohlen, was natürlich alles heißen kann. Immerhin ist dieses Waldstück nun bekannt und wird (hoffentlich!) bei der geplanten Sanierung des SiLvertbachs nicht vergessen.

Ich persönlich fände ein Hinweisschild nicht schlecht, welches auf die Situation hinweist und dazu rät, Kinder und Hunde möglichst nicht dort spielen und graben zu lassen. Aber das kann natürlich auch nach hinten losgehen und von aufgeregten Bürgern ohne Ahnung als eine ganz schlimme Verseuchung ungeheuren Ausmaßes interpretiert werden.

NoLi

Zitat von: kKernig am 31. Dezember 2023, 00:31...
Das Gerät meldet sich beim Einschalten als "XR1", im Online-Angebot war er als BR-9B gelistet. Keine Ahnung, was richtiger ist.

Den Unterschied erkennt man im Display. das XR1 zeigt noch Temperatur und Luftfeuchte an, das BR-9b nicht. Außerdem ist die Hintergrundfarbe zum Teil unterschiedlich.


XR1


BR-9B


Norbert