Leitfaden Strahlenschutzgesetz privat als Amateur

Begonnen von U235, 26. März 2023, 22:37

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

U235

Für stille Mitleser wäre es bestimmt hilfreich zu wissen, was man beachten muss, wenn sich ein Gegenstand als radioaktiv erweist.

- (Wie) lässt sich mit einem Geigerzähler (hier unterscheiden, Gamma-, Beta-, und Alpha-fähig) annähernd die Zerfallsrate gängiger Isotope von Uran, Radium, Thorium etc. in Becquerel bestimmen (z.B. Gerät mit J305, SBM20, LND712, LND7311 inkl. Messgeometrie/Abschirmung)?
Natürlich kann man ohne Freimessanlage nicht ganz genau sein.

Zitat von: NoLi am 22. Mai 2022, 19:50Die Ra-226 Aktivität einer Armbanduhr kann man grob abschätzen zu: 1 µSv/h = ~ 2.000 Bq
^^ wird hier von einem mit Cs137 kalibrierten Geigerzähler und entsprechender Umrechnung ausgegangen, oder von tatsächlicher Dosisleistung bezogen auf Ra-226?


- Für welche im Alltag anzutreffenden Gegenstände (z.B. radioaktive Mineralien, Uranglas, Uhren mit Radium-Leuchtmitteln etc.) gilt privat welche Kaufs-/Verkaufseinschränkung?

- Was passiert bei Überschreiten der Freigrenze (Bq pro Isotop und insgesamt)?

Es ist komplex und wer sich nicht damit befasst, dem ist der Gesetzestext gar nicht bekannt, aber genau aus diesem Grund wäre doch eine praxisnahe Erklärung schön. Es gibt schon viele Threads hier, in denen teilweise etwas beantwortet wird, aber noch nicht als Zusammenfassung.

Ziel ist eine Art Leitfaden, der das StrlSchG in der Praxis verständlich macht. Ggf. mit weiteren Fragen ergänzt.
Von offizieller Stelle habe ich solches noch nicht gesehen.

Grundsatz ALARA (As Low As Reasonably Achievable) - Strahlendosis so gering wie möglich.

NoLi

Sorry, aber einen Gesetzestext sowie eine daraus folgende Verordnung kann man nicht so einfach mit ein paar Sätzen zusammenfassen, denn es kommt dabei, juristisch gesehen, auf den genauen Wortlaut des Textes an. Also bleibt nichts anderes übrig, als sich dieser Texte zu befleißigen.

Zitat von: U235 am 26. März 2023, 22:37Für stille Mitleser wäre es bestimmt hilfreich zu wissen, was man beachten muss, wenn sich ein Gegenstand als radioaktiv erweist.
...
Auch hierzu möchte ich die Strahlenschutzverordnung zitieren, nämlich den §168, Satz 1:

"§ 168 Fund und Erlangung

§ 168 wird in 4 Vorschriften zitiert

(1) Wer

1.    einen radioaktiven Stoff nach § 3 des Strahlenschutzgesetzes findet oder

2.    ohne seinen Willen die tatsächliche Gewalt über einen radioaktiven Stoff nach § 3 des Strahlenschutzgesetzes erlangt oder

3.    die tatsächliche Gewalt über einen radioaktiven Stoff nach § 3 des Strahlenschutzgesetzes erlangt hat, ohne zu wissen, dass dieser Stoff radioaktiv ist,

hat dies der atom- oder strahlenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde oder der nach Landesrecht zuständigen Polizeibehörde unverzüglich mitzuteilen, sobald er von der Radioaktivität dieses Stoffes Kenntnis erlangt. Satz 1 gilt entsprechend für denjenigen, der vermutet, einen radioaktiven Stoff nach § 3 des Strahlenschutzgesetzes gefunden oder die tatsächliche Gewalt über einen radioaktiven Stoff nach § 3 des Strahlenschutzgesetzes erlangt zu haben. Die in Satz 1 genannten Behörden unterrichten sich jeweils wechselseitig unverzüglich über die von ihnen entgegengenommene Mitteilung.
..."

(https://www.buzer.de/168_StrlSchV.htm)

Somit sind u.a. auch die Freigrenzen- und Freistellungsregelungen von Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung zu beachten!
Und im Zweifel ---> siehe oben!

Norbert


U235

Verstehe, der Wortlaut ist jedoch ohne passendes Hintergrundwissen nur beschränkt auf die Realität anwendbar.

Ich komme nochmal auf die erste Frage zurück, da braucht man keine Interpretation von Gesetzestexten:

- (Wie) lässt sich mit einem Geigerzähler (hier unterscheiden, Gamma-, Beta-, und Alpha-fähig) annähernd die Zerfallsrate gängiger Isotope von Uran, Radium, Thorium etc. in Becquerel bestimmen (z.B. Gerät mit J305, SBM20, LND712, LND7311 inkl. Messgeometrie/Abschirmung)?
Natürlich kann man ohne Freimessanlage nicht ganz genau sein.

    Zitat von: NoLi am 22. Mai 2022, 19:50
    Die Ra-226 Aktivität einer Armbanduhr kann man grob abschätzen zu: 1 µSv/h = ~ 2.000 Bq

^^ wird hier von einem mit Cs137 kalibrierten Geigerzähler und entsprechender Umrechnung ausgegangen, oder von tatsächlicher Dosisleistung bezogen auf Ra-226?

Dankeschön :)

NoLi

Zitat von: U235 am 25. April 2023, 11:26...
- (Wie) lässt sich mit einem Geigerzähler (hier unterscheiden, Gamma-, Beta-, und Alpha-fähig) annähernd die Zerfallsrate gängiger Isotope von Uran, Radium, Thorium etc. in Becquerel bestimmen (z.B. Gerät mit J305, SBM20, LND712, LND7311 inkl. Messgeometrie/Abschirmung)?
Natürlich kann man ohne Freimessanlage nicht ganz genau sein.

Durch Kalibrierung mit kommerziellen DAkkS-zertifizierten Referenz-Strahlern, jeweils mit Uran, Radium, Thorium etc.

https://www.ezag.com/fileadmin/user_upload/isotopes/isotopes/Isotrak/isotrak-pdf/Product_literature/EZIPL/EZIP_catalogue_reference_and_calibration_sources.pdf

https://www.medeo.ch/view/data/6393/EZAG/catalogue%20EZN%20ISOTRAK%20Calibration%20Standard%20and%20Instruments.pdf

https://www.medeo.ch/view/data/6393/EZAG/catalogue%20EZA%20analytics%20standards.pdf

Es geht auch ohne Freimessanlage!

Zitat von: U235 am 25. April 2023, 11:26...
    Zitat von: NoLi am 22. Mai 2022, 19:50
    Die Ra-226 Aktivität einer Armbanduhr kann man grob abschätzen zu: 1 µSv/h = ~ 2.000 Bq

^^ wird hier von einem mit Cs137 kalibrierten Geigerzähler und entsprechender Umrechnung ausgegangen, oder von tatsächlicher Dosisleistung bezogen auf Ra-226?

Ja. Alle Dosisleistungsmessgeräte (Professionelle wie Consumer) werden standardmäßig weltweit hauptsächlich mit Cs-137/Ba-137m kalibriert, lediglich die Chinesen setzen offenbar immer noch auf die (veraltete) Methode mit Co-60 (Kalibrierung mit Co-60 diente früher hauptsächlich zur Dosisleistungsmessung von frischem Atombomben-Fallout).
Routinemäßige Kalibrierung der Dosisleistungsanzeige mit Ra-226 ist schon seit Anfang der 1960er Jahre nicht mehr üblich.

Norbert


Peter-1

Hallo Norbert,

ist es richtig dass der normale Bürger keine Möglichkeit hat sein Gerät auf legale Weise zu überprüfen / kalibrieren ? Es soll ja auch noch bezahlbar bleiben.
Er bräuchte dazu eine punktförmige Cs137  Quelle mit bekannter Aktivität. Mit den 30 Gramm Müller Zutaten kann ich  nicht viel anfangen.
Gruß  Peter

NoLi

Zitat von: Peter-1 am 25. April 2023, 12:28Hallo Norbert,

ist es richtig dass der normale Bürger keine Möglichkeit hat sein Gerät auf legale Weise zu überprüfen / kalibrieren ? Es soll ja auch noch bezahlbar bleiben.
Er bräuchte dazu eine punktförmige Cs137  Quelle mit bekannter Aktivität. Mit den 30 Gramm Müller Zutaten kann ich  nicht viel anfangen.
Für eine günstige Dosisleistungsüberprüfung bzw. Kalibrierung: im Prinzip ja, leider nicht möglich!
Löbliche Ausnahme ist hier der Gamma-Scout und einige amerikanische Geräte (z.B. Ranger), welche vor Auslieferung beim Hersteller mit Cs-137/Ba-137m kalibriert werden. Ansonsten muß man sich auf die Werkseinstellungen verlassen. Leider habe ich diesbezüglich gerade bei manchen chinesischen Strahlungsmessgeräten schlechte Erfahrungen gemacht.
Beispielsweise kann ich einen frisch erworbenen zertifizierten Gamma-Scout regelmäßig wiederkehrend mit einem langlebigen natürlichen Radionuklid, z.B. Uranerz, immer unter gleichen Umständen über viele Jahre die Konstanz überprüfen.
Daher auch der Vorschlag von Bernd L., öffentlich zugängliche Punkte mit bekanntem Dosisleistungswert als Referenzpunkte zu nutzen. Dies entspricht zwar nicht einer klassischen Kalibrierung, wäre aber für die Consumer-Geräte der Citizen Science durchaus zur Genauigkeitsüberprüfung der Anzeige nutzbar.
Pottasche K2CO3 bzw. andere Kaliumsalze können sinnvoller Weise nur zur Effizienz- und Konstanzprüfung von betaempfindlichen Messgeräten verwendet werden, nicht aber für die Gamma-Dosisleistung.

Norbert

U235

Ja, eine günstige, natürlch legale Dosisleistungsüberprüfung bzw. Kalibrierung ist die einzig richtige.
Andere hier im Forum beschriebene Kalibrierungsmethoden sind mir zu unsicher, da man die Dosisleistung und Aktivität der dazu verwendeten Objekte schlecht einschätzen kann.
Besser auf professionelles Gerät und die periodischen Kalibrierungskosten sparen...

Bis da hin muss man sich auf die Werkskalibrierung verlassen und hat eben relative statt absolute Messwerte.

DG0MG

Zitat von: NoLi am 25. April 2023, 12:58Löbliche Ausnahme ist hier der Gamma-Scout [..] welche vor Auslieferung beim Hersteller mit Cs-137/Ba-137m kalibriert werden.

Das ist zumindest nicht ganz so, wie man sich das vielleicht vorstellen würde, nämlich das jedes Gerät mal an einen Prüfstrahler gehalten wird und dann geprüft wird, ob es einen vorgegebenen Messwert plus/minus irgendwelcher Toleranzen anzeigt. So wie das der Endkunde bei AUTOMESS oder THERMO selber machen kann, wenn er den passenden Prüfstrahler und natürlich die rechtlichen Voraussetzungen dafür hat.

Für die Kalibrierung bei der Produktion habe ich  gefunden:

"Geprüfte Kalibrierung:
Jedes GAMMA-SCOUT – Messgerät wird einer Endprüfung unterzogen, die vom Institut für Strahlenschutz einer staatlichen Fachhochschule überwacht wird. Die Prüflinge müssen im Konfidenzintervall von 5 % gegen einen Master liegen, der seinerseits gegen einen geprüften Cs 137 Strahler und der ODL abgeglichen wurde.
"
(Quelle: https://www.gamma-scout.com/de/online/)

Die "Re-Kalibrierung" (z.B. für ein ISO-zertifiziertes Unternehmen) läuft so ab:

"Der Prüfling wird dem Montagebetrieb übergeben,
der über 72 Stunden den Prüfling zu
einem Master in Vergleich setzt, der seinerseits
mit einer geeichten Quelle (Cs 137) abgeglichen
wurde. Über die Messwerte wird ein
Protokoll erstellt.
"
(Quelle: Handbuch GammaScout von 2018 https://www.gamma-scout.com/wp-content/uploads/Handbuch.pdf)

Da lese ich raus, dass die einfach 3 Tage lang gucken, ob der GammaScout des Kunden dasselbe anzeigt, wie ein anderer GammaScout, ohne, dass der Prüfling selbst in ein Strahlenfeld kommt. Falls das nicht so ist, dann könnte man das deutlicher hinschreiben.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Zitat von: DG0MG am 02. Mai 2023, 16:03...
Da lese ich raus, dass die einfach 3 Tage lang gucken, ob der GammaScout des Kunden dasselbe anzeigt, wie ein anderer GammaScout, ohne, dass der Prüfling selbst in ein Strahlenfeld kommt. Falls das nicht so ist, dann könnte man das deutlicher hinschreiben.
So sehe ich dies auch. Der MASTER wird regelmäßig an einer genehmigungspflichtigen Cs-137 Strahlenquelle kalibriert (wahrscheinlich im radiochemischen Institut der Steinbeis-Hochschule Mannheim), die PRÜFLINGE werden drei Tage an diesem MASTER verglichen und dürfen mit ihren Anzeigewerten max. 5 % von der MASTER-Anzeige abweichen.
Im Prinzip ist dies eine Prüfart, welche auch der BUND auf Standortebene für seine Katastrophenschutz-Dosisleistungsmessgeräte vorgibt: wiederkehrende Messung und Ergebnisvergleich des ortsüblichen Backgrounds immer an gleicher Stelle...nur ohne MASTER-Vergleich.

Norbert