Unfälle - ab wann macht sich Wärme bemerkbar bei hochaktiven Quellen?

Begonnen von Zugpferd, 03. Januar 2023, 16:43

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Zugpferd

Hallo Leute,
was mich interessiert ist ab welcher Aktivität eine Quelle eigentlich merkbar warm wird.
Es gibt bei der IAEA sehr gute Berichte über gefundene Quellen die zum Teil in der Winternacht als Wärmequelle genutzt wurden - mit fatalen Folgen für die Gewärmten.
Bei starken Strahlern werden also die Wechselwirkungen im Material durch Wärme/ Hitze bemerkbar.
Ab wann ist das der Fall?
Sind das schon Quellen die zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung genutzt werden?
Hat die Energie (keV) einen Einfluss oder rein die Aktivität?
In Nuklidbatterien wird doch auch das aktive Medium genutzt um Wärme zu produzieren die dann in elektrische Energie gewandelt wird, dort nimmt man Alpha Strahler, auf dem Boden eher Cs137 zur Befeuerung von Leuchttürmen udgl.
Ich habe Euch mal von meinem Havarie Meister erzählt, der sagte mir die Cobalt Quellen aus medizinischen Bestrahlungsgeräten wären heiß, die Wärme würde man sofort spüren. Schilder solcher Quellen hatte ich hier mal im Beitrag Schilder Fetischist gezeigt. Ein Cs137 mit 51,1 TBq als Beispiel.

Die IAEA hat einen Beitrag wo auch erklärt wird das eine Kammer in der Kartons an einer Co60 Quelle vorbeifahren zwischenzeitlich in den Vorratsraum, einem Schwimmbecken geparkt werden weil die Dinger sonst zu heiß werden...

Also klar, ich stelle mir das nicht so vor als wenn man anhand der Wärme erkennen würde das man lieber weg gehen sollte, aber technisch interessiert mich das schon ab wann eine Wärmereaktion feststellbar ist.
Ne Idee?

IAEA Beispiel

IAEA Beispiel

Lennart

Zitat von: Zugpferd am 03. Januar 2023, 16:43Sind das schon Quellen die zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung genutzt werden?

Mir ist nicht bekannt, dass unsere Cobalt 60 Quelle spürbar warm wird. Leider ist das nicht meine Abteilung, aber ich werden nach meinem Urlaub mal Nachforschungen bezüglich Aktivität und Wärmeentwicklung anstellen. Das einzige was definitiv warm wird ist der 3 MeV Linac, aber das dürfte andere Gründe haben  ;D

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Zitat von: Zugpferd am 03. Januar 2023, 16:43auf dem Boden eher Cs137

Zumindest in der UdSSR hat man doch eher Strontium 90 verwendet, oder? Das lässt sich aufgrund der geringeren Emission an Gammastrahlung leichter abschirmen.

Zitat von: Zugpferd am 03. Januar 2023, 16:43Hat die Energie (keV) einen Einfluss oder rein die Aktivität?

Beides hat einen direkten Einfluss, nur dürfte sich die spezifische Aktivität in der Praxis deutlich stärker bemerkbar machen.

In der englischen Wikipedia werden folgende Werte genannt:

Radiation power in W/g for several isotopes:

60Co: 17.9
238Pu: 0.57
137Cs: 0.6
241Am: 0.1
210Po: 140 (T = 136 d)
90Sr: 0.9
226Ra: 0.02

Radium 226 hat die längste HWZ und erzeugt nur 0,02 Watt/Gramm, wohingegen Polonium 210 mit der kürzesten HWZ 140 Watt/Gramm erzeugt.

Bei Cäsium 137 und Plutonium 238 sind die Werte ähnlich. Cäsium 137 hat zwar nur ein 1/3 der HWZ, aber dafür hat Plutonium 238 eine vielfach höhere Zerfallsenergie.

Henri

Zitat von: Zugpferd am 03. Januar 2023, 16:43Die IAEA hat einen Beitrag wo auch erklärt wird das eine Kammer in der Kartons an einer Co60 Quelle vorbeifahren zwischenzeitlich in den Vorratsraum, einem Schwimmbecken geparkt werden weil die Dinger sonst zu

Kommen die nicht ins Wasserbad, um die Strahlung abzuschirmen?


Die Frage finde ich interessant!

Eigentlich kann man das doch ausrechnen, zumindest den Teil der Energie, der in Form von radioaktiver Strahlung abgegeben wird: 1 Gy entspricht einer Energie von 1 Joule, die in 1 kg Materie absorbiert wird.

1 Joule ist die Energie, die bei einer Leistung von einem Watt in einer Sekunde umgesetzt wird.

Dies ist gleich der Energie, die benötigt wird, um ein Gramm Wasser um ca. 0,239 Kelvin zu erwärmen.

Dann spielt natürlich eine Rolle, wie leicht die radioaktive Stubstanz und deren Umhüllung die Wärme an die Umgebung abgeben kann. Bei Gammastrahlung wird sie ja in dicken Schichten von Abschirmmaterial absorbiert (verteilt sich also auf eine große Masse mit in der Regel auch hoher Wärmekapazität und Oberfläche), bei Beta- und Alphastrahlung in deutlich weniger Materie (die dann wärmer wird). Dann kann die Wärme entweder durch Abstrahlung oder Konvektion abgeführt werden. Und dann stellt sich ein Temperaturgradient ein.

Und dann entsteht auch noch Wärme direkt beim Zerfall (also nicht als Wechselwirkung der emittierten radioaktiven Strahlung mit der Materie, in der sie absorbiert wird).

https://de.wikipedia.org/wiki/Zerfallsw%C3%A4rme

Das können sicher die Physiker hier im Forum noch mal besser aufdröseln. Bin gespannt.

Viele Grüße!

Henri

Zugpferd

Boah! Den Wiki Link mit dem Bild des Pu Strahlers hab ich schon einmal gesehen, aber das der fast weiß glüht durch seine Zerfallswärme war mir nicht klar, ich dachte das sei vom Herstellungsprozess, Ausglühen oder weiß der Teufel... nee, das soll tatsächlich die Zerfallswärme sein, bin beeindruckt.
 

NuclearPhoenix

Sehr interessant! Das lässt sich doch sicher recht einfach über den Massendefekt rechnen, nicht?

Dann ist es mehr oder weniger egal welcher Zerfall das ist und was sonst passiert. Vorausgesetzt natürlich man nimmt an, dass die gesamte freiwerdende Energie wieder in demselben Material absorbiert wird. Dann ist der Massendefekt jeder bestimmten Zerfallssequenz einfach die Wärmeenergie die deponiert wird.

Hier: https://www.leifiphysik.de/kern-teilchenphysik/kernspaltung-und-kernfusion/grundwissen/kernspaltung

Bei Zerfall von U-235 zum Beispiel werden insgesamt 173 MeV frei. Das sind grob 3E-11 Joule. In einem 1kg Block voll mit U-235 sind ca 2,5E+24 Atome. Das wären insgesamt 7,6E+13 Joule, umgerechnet 21000 MWh. Darin sind die Zerfälle der Tochternuklide usw. aber nicht enthalten. D.h. es wird logischerweise sogar noch mehr sein. Die lassen wir aber mal weg.

Die Halbwertszeit von U-235 ist 7E+8 Jahre, damit hat man eine gesamte Aktivität von 7,8E+7 Bq, damit umgerechnet 0,024 J/s aka Watt. Die spezifische Wärmekapazität von U ist 0,12 J/gK (https://www.periodensystem.info/elemente/uran/), also 120 J um unseren 1kg Block um 1K zu erwärmen. Ergo 5000 Sekunden (1,4 Stunden), für eine 1K Änderung hier. Das ist quasi gar nichts... Vor allem habe ich hier auch nicht miteinbezogen, dass der Block ja auch wieder von selbst auskühlt. Das ist aber nur die natürliche Zerfallsrate. Wie das dann mit Kettenreaktion in einem "echten" Reaktor aussieht, kann ich nicht sagen...

Was wirklich zu kurzfristigen Erwärmungen führen kann sind Sachen mit sehr kurzer Halbwertszeit. Ich habe jetzt nur das Beispiel U-235 genommen, weil es dafür recht häufig Daten im Internet gibt. Das kann man aber mit jedem beliebigen anderen Stoff durchführen. Im Prinzip ist es nur wichtig wie hoch der Massendefekt des Zerfalls und wie kurz die Halbwertszeit ist.

Fand es aber trotzdem echt interessant. Mit Plutonium ist das natürlich noch krasser, da die Halbwertszeit gegenüber dem Uran ja winzig ist.

PS: Hoffe ich hab mich nicht verrechnet ;D

Lennart

Ich denke wenn man sich die Nachzerfallswärme eines Leistungsreaktors anschaut, bekommt man einen guten Eindruck wie viel Wärme durch eine radioaktive Quelle erzeugt werden kann. Benutzte Brennelemente (kurz nach dem Herunterfahren eines Reaktors) sind ja so ziemlich die stärkste Quelle auf dem Planeten.

Die Tabelle in diesem Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Nachzerfallsw%C3%A4rme) zeigt, dass 10 Sekunden nach dem Herunterfahren noch genug Wärme abgegeben wird, um ein olympisches Schwimmbecken in 100 Minuten zum kochen zu bringen.


Zugpferd

Ja so sehr auf Kernspaltung wollte ich gar nicht hinaus, aber was Lennart da über die W/g aus dem englischen Wiki hat klingt richtig.
So ganz kapiert hab ich das noch nicht, z.B. gerade beim Vergleich Po210 zu Am241 ist ja ein enormer Unterschied, 0,1 vs. 140.
Es wird einen Unterschied machen ob Teilchen ausgesendet werden vs. Gammaquanten die evtl. erst weiteren (Teilchen) Einfluss haben. Gerade deshalb ist der Am-Po Unterschied eklatant.
Aber ihr habt Recht, das muss man errechnen können aus den J/kg.

Wieso meinst du NuclearPhonix das 1,4h für 1K nichts ist? Die Weltmeere brauchen ja scheinbar nur noch ein-zwei Jahre meinst du? :)

Naja, eine warme Quelle zu Gesicht zu bekommen ist in keinem Fall gut, soviel ist klar.






Lennart

Zitat von: Zugpferd am 04. Januar 2023, 09:46gerade beim Vergleich Po210 zu Am241 ist ja ein enormer Unterschied, 0,1 vs. 140.

Die HWZ von Polonium 210 beträgt 138,4 Tage, von Americium jedoch (432,2 a * 365 d) 157.753 Tage. Die HWZ von Am241 ist also ungefähr um den Faktor 1140 höher. Der Wert in Watt/Gramm ist um den Faktor 1400 niedriger. Die restlichen 18,5 % Unterschied sind wahrscheinlich den  unterschiedlichen Zerfallsenergien der Folgezerfälle und den unterschiedlichen Gammaenergien geschuldet.

Zitat von: Zugpferd am 04. Januar 2023, 09:46Ja so sehr auf Kernspaltung wollte ich gar nicht hinaus

Die Nachzerfallswärme entsteht aus dem selbstständigen Zerfall der (teilweise extrem kurzlebigen) Isotope, die während des Betriebs als Spaltprodukte entstanden sind. Deswegen lässt sich dieser Vorgang ja auch nicht durch die Steuerstäbe beeinflussen. Wenn die Brennelemente im Castor sind, kann man das guten Gewissens als radioaktive Quelle jenseits der Kernspaltung ansehen.

Ich würde mich in einer Winternacht jedenfalls sofort daran aufwärmen. Wenn da nicht die 0,35 mSv/h Ortsdosisleistung an der Oberfläche wären  :D

NoLi

Zitat von: Lennart am 04. Januar 2023, 13:18...
Wenn da nicht die 0,35 mSv/h Ortsdosisleistung an der Oberfläche wären  :D
Wieso nicht? Die "wärmen" doch auch... 8)  :o

Norbert

NuclearPhoenix

Zitat von: Zugpferd am 04. Januar 2023, 09:46Wieso meinst du NuclearPhonix das 1,4h für 1K nichts ist? Die Weltmeere brauchen ja scheinbar nur noch ein-zwei Jahre meinst du? :)
Naja das Material kühlt ja von selbst auch wieder aus. Da wird am Ende kaum was von der Selbsterwärmung bleiben.

Lennart

Zitat von: NoLi am 04. Januar 2023, 13:22Wieso nicht? Die "wärmen" doch auch...

Mein Vater hatte im Krankenhaus vor einiger Zeit einen Patienten vom ehemaligen BGS. Das war wohl ein vernünftiger und glaubwürdiger Mensch, dessen Aussagen wahrscheinlich nicht von Ideologien geprägt waren. Er und seine Einheit waren damals mit der Sicherung von Castor-Transporten betraut. Diese Leute sind stundenlang (angeblich ohne jegliche Warnung) neben den Transportbehältern hergelaufen. Laut seinen Aussagen sind mehrere Personen aus dieser Einheit an Leukämie erkrankt und nun auch verstorben.

Wissenschaftlich gesehen beweist das zwar nichts, aber es regt zum Nachdenken an.

Henri

Zitat von: Lennart am 04. Januar 2023, 13:18Ich würde mich in einer Winternacht jedenfalls sofort daran aufwärmen. Wenn da nicht die 0,35 mSv/h Ortsdosisleistung an der Oberfläche wären  :D


Abstand hilft! Man muss sich nur einen Wärmetauscher bauen...

Lasst mich raten. Wahrscheinlich zieht die Wärme in der Castor-Lagerhalle durch Löcher im Dach ab, während die Verwaltungsgebäude und Werkstätten mit Gas geheizt werden  8)

Henri

Zitat von: Lennart am 04. Januar 2023, 13:44
Zitat von: NoLi am 04. Januar 2023, 13:22Wieso nicht? Die "wärmen" doch auch...

Mein Vater hatte im Krankenhaus vor einiger Zeit einen Patienten vom ehemaligen BGS. Das war wohl ein vernünftiger und glaubwürdiger Mensch, dessen Aussagen wahrscheinlich nicht von Ideologien geprägt waren. Er und seine Einheit waren damals mit der Sicherung von Castor-Transporten betraut. Diese Leute sind stundenlang (angeblich ohne jegliche Warnung) neben den Transportbehältern hergelaufen. Laut seinen Aussagen sind mehrere Personen aus dieser Einheit an Leukämie erkrankt und nun auch verstorben.

Wissenschaftlich gesehen beweist das zwar nichts, aber es regt zum Nachdenken an.

Es wird ja seit Jahren darüber diskutiert, ob der Strahlenwichtungsfaktor für Neutronen nicht viel zu niedrig angesetzt ist. Manche argumentieren sogar um den Faktor 10.

Bei den Transporten gab es Messungen und Dosimetrie, man weiß also genau, wie stark das Strahlenfeld an welcher Stelle ist und welche Dosis jemand maximal abbekommen kann. Nur wie sich das dann auf die Exponierten auswirkt, ist vielleicht noch offen.

Dazu kommt vielleicht noch Stress, wenig Schlaf, schlechte Ernährung... während des Einsatzes, so dass das Immunsystem sowieso schon nicht in bestem Zustand ist.

Oder es gab noch andere Faktoren, die man nicht kennt, die aber nichts mit der Strahlung zu tun haben - z.B. die Polizeiwache in der Hauptwindrichtung dicht an einer Tankstelle. Das im Benzin in geringen Mengen (früher deutlich mehr...) enthaltene Benzol ist ja ein sehr starker Auslöser für Leukämien. Und Absaugsysteme für beim Tanken freiwerdende Benzindämpfe gab es früher auch noch nicht.

Lennart

Zitat von: Henri am 04. Januar 2023, 14:38Es wird ja seit Jahren darüber diskutiert, ob der Strahlenwichtungsfaktor für Neutronen nicht viel zu niedrig angesetzt ist. Manche argumentieren sogar um den Faktor 10.

Das war nämlich auch meine Vermutung. 0,25 mSv/h von den 0,35 mSv/h Gesamtdosisleistung darf Neutronenstrahlung sein. Die Gewichtung erfolgt ja nach der Energie und geht sogar (seit 2007) bis zu 20,7 bei 1 MeV.