Prenzlauer Berg verliert Strahlkraft

Begonnen von pangeiger, 15. Juli 2019, 16:33

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pangeiger

ich bin eher zufällig über diese Stelle gestolpert. Unterhalb des Straßenbelgast hat man ein HRQ (Hochradiaktive Quelle) entdeckt (2010), die 10mS/h Gammastrahlen emittiert. Und jetzt kommts:

"Es habe keine Gefahr für Passanten oder Anwohner gegeben, erläutert Rath. Denn es handele sich nur um einen Bruchteil der Strahlung, der viele Menschen im Beruf ausgesetzt seien. Um die maximal erlaubte Jahresdosis etwa für Röntgenärzte zu erhalten, hätte man 100 Stunden lang exakt über der Strahlenquelle stehen müssen, so Rath."

Rechnen wir mal nach: 100 h = 100x 10mS = 1000mS = 1 Sievert Gesamtdosis nach 100 Stunden. Die armen Röntgenärzte, die so was jedes Jahr verkraft müssen. Zur Erinnerung ab 100 - 200mS treten Symtome einer leichten Strahlenerkrankung an.

DG0MG

#1
Es ging wohl um diesen Artikel in der taz, der Link fehlt im Beitrag:


Bei Vorkommnissen in der Vergangenheit kann man ja mal die ganze Geschichte erzählen, soweit sie sich aus den Veröffentlichungen rekonstruieren lässt:

Ein ABC-Erkundungswagen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) machte am 8. August 2010 - Sonntagmittag - eine Schulungsfahrt mit dem Messwagen durch den Stadtteil Prenzlauer Berg und entdeckte dabei ZUFÄLLIG einen Hotspot mit einer erheblichen Dosisleistung in einer Parkbucht auf der Stargarder Straße zwischen Pappelallee und Lychener Straße. Direkt am Straßenbelag wurden 10 mSv/h gemessen. Der Tagesspiegel [3] schreibt von 10 µSv/h, das ist sicher falsch, da hätte man keinen solchen Aufriss gemacht. Zunächst wurde die Strahlungsquelle aber in einem geparkten Auto VW Lupo vermutet, das sichergestellt und abtransportiert wurde [6]. Die Strahlung war aber danach immer noch vorhanden und ein Wischtest auf dem Straßenbelag war negativ. So kam man zu dem Schluss, dass die Quelle in oder unter dem Asphalt zu suchen ist.

Als Sofortmaßnahmen wurden Bleiplatten hingelegt und wieder ein Auto darübergestellt, um Metalldiebe vom Diebstahl der Platten abzuhalten [10]. Später kümmerten sich Spezialisten um das Aufpickern des Straßenbelags und Entfernung der Quelle (die mindestens 20 Jahre dort gelegen haben muss).

Die Youtube-Userin Bionerd23 war damals dort und hat die Situation am Montagmorgen und -mittag dankenswerterweise im Bewegtbild festgehalten:



Anhand Ihres Videos kann man mit Google Streetview die Stelle suchen und dummerweise steht gerade wieder ein Auto drauf oder davor  :)
Ich meine, die Stelle war zwischen dem silbernen und dem dunklen Auto: https://goo.gl/maps/G8BqqpVf7HixgZjy8 oder von der linken Seite geschaut: https://goo.gl/maps/GXtXppf6Fa3wXjCPA

Offenbar handelte es sich bei dem später geborgenen kleinen Metallstück "von der Größe einer Zigarette" um ein Messgerät für Dichtigkeitsprüfungen für Rohrleitungen, das irgendwann verlorengegangen sein muss, in Form eines Cs-137 Strahlers.

Was der Herr Dr. Rath aber in [1] für eine Rechnung mit der Dosis aufgemacht hat, kann ich auch nicht nachvollziehen, selbst wenn man überschlägig annimmt, dass die Dosisleistung in knapp 1 Meter Höhe nur noch ein 1/16 derselben am Boden beträgt. Für einen Röntgenarzt dürfte doch auch eine Obergrenze von 20mSv/a gelten?

Weitere Quellen:

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

#2
2010 lief eine Doku des MDR aus der Reihe "ECHT", in der es um den Brand von Uran bei den Reaktorversuchen an der Uni in Leipzig ging. In dieser Sendung wurden auch einige Szenen aus dem Vorgang in der Stargarder Straße gezeigt. Bei youtube sind nur noch Trailer zu finden, ich konnte einen schlechten Analogmitschnitt auftreiben.

"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

DG0MG

Es wurde zwar immer in den Zeitungsartikeln als Erklärung gebracht, es habe sich um ein Gerät zur Rohrleitungsprüfung gehandelt. Man muss sich aber auch mal den Ablauf beim Straßenbau klarmachen: Vom Verlegen irgendwelcher Rohre im Boden (die dann vllt. geprüft werden müssten) bis zum Asphaltieren vergeht eine längere Zeit, nicht selten Monate. Da wäre womöglich genug Zeit zum Feststellen des Verlustes des Strahlers und seiner Suche gewsen. Da der Strahler aber relativ flach unter der Asphaltdecke lag, passt diese Geschichte irgendwie nicht.

Stattdessen Alternativtheorie: Vielleicht war es der Strahler einer Troxler-Sonde zum Messen der Asphaltdichte, ähnlich wie kürzlich in Böblingen?: https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,688.0.html

Das passt zumindest eher zu "knapp unter dem Asphalt", "Cs-137", "Straßenbauarbeiten vor langer Zeit".
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

Henri

Ich frage mich ja bei so was

- was hat der Arbeiter gemacht, nachdem er die Quelle verloren hatte? So was kann man doch schlecht unter den Tisch fallen lassen bzw. nicht bemerken   :unknw:

- wieso wurde sie dann nicht gleich geborgen? Sie war ja problemlos auch über größere Entfernungen selbst mit einfachem Equipment zu lokalisieren   :unknw:

DG0MG

Naja, diese Fragen bekommen wir nicht beantwortet, sie sind daher nur rhetorisch.
Außer .. es meldet sich zukünftig mal noch einer der damals Beteiligten vom DRK oder der "Landesanstalt für Personendosimetrie und Strahlenschutzausbildung" hier an und plaudert ein wenig ..  ;D

Vielleicht noch dieser Gedankengang: Es steht gleich im ersten verlinkten Artikel, dass die Straße an dieser Stelle mindestens 20 Jahre nicht aufgerissen wurde. Prenzlauer Berg ist in Ost-Berlin, das "Ei" könnte also noch zu DDR-Zeiten gelegt worden sein. Keine Ahnung, ob es in der DDR solche Messgeräte gab, aber Hexenwerk ist diese Technik ja nun nicht und in Berlin hatte man eh immer Sachen, von denen man in der Provinz noch nie gehört hatte. Es ist auch von polizeilichen Ermittlungen die Rede, von Ergebnissen liest man wie so häufig nichts.

Ich hab oben den Filmbeitrag mal noch nachgetragen.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Ein kleiner interessanter Gesichtspunkt im Video von "BIONERD23" bei 4 min 43 sek:
Da wird in den Presseartikeln über eine Dosisleistung vom 31,8 Milli-Sievert/h geschrieben, das dazugehörige Bild vom FH40G zeigt eine Dosisleistung von 31,8 Mikro-Sievert/h... :unknw:
Aber ist ja nur um den Faktor 1.000 unterschiedlich :whistle3:

Norbert

NoLi

Zitat von: DG0MG am 24. März 2021, 18:58
Prenzlauer Berg ist in Ost-Berlin, das "Ei" könnte also noch zu DDR-Zeiten gelegt worden sein. Keine Ahnung, ob es in der DDR solche Messgeräte gab, aber Hexenwerk ist diese Technik ja nun nicht und in Berlin hatte man eh immer Sachen, von denen man in der Provinz noch nie gehört hatte.

In der Ex-DDR war es ja auch Usus, im Land nicht produzierbare/produzierte Technik vom Klassenfeind aus dem Westen zu importieren. :whistle3:
Und wenn was schief ging, wurde das dunkle Mäntelchen des Schweigens (hier schwarzer Asphalt) darüber ausgebreitet bzw. mit fadenscheinigen Ausreden (hier Rohrprüfungen) begründet.
Aber vielleicht liege ich ja mit meinen Vermutungen auch falsch... ;)

Norbert

DG0MG

Man darf ja auch die "20 Jahre" nicht ganz für bare Münze nehmen. Vielleicht war es auch kurz nach 1990.
Auch die Aussage, dass dort nie aufgegraben wurde, würde ich anzweifeln: Wenn man sich Bionerd23s Video anschaut, als sie sich am Morgen unter das Auto legt, dann sieht man deutlich eine Fuge im Teer, dort ist also bestimmt wenigstens ein Streifen mal aufgegraben und wieder zugeteert worden.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

NoLi

Zitat von: DG0MG am 25. März 2021, 13:56
Man darf ja auch die "20 Jahre" nicht ganz für bare Münze nehmen. Vielleicht war es auch kurz nach 1990.
Auch die Aussage, dass dort nie aufgegraben wurde, würde ich anzweifeln: Wenn man sich Bionerd23s Video anschaut, als sie sich am Morgen unter das Auto legt, dann sieht man deutlich eine Fuge im Teer, dort ist also bestimmt wenigstens ein Streifen mal aufgegraben und wieder zugeteert worden.

Merkwürdigerweise befand sich die Strahlenquelle offenbar genau im Fugenbereich, siehe Bilder:

https://frank.geekheim.de/?m=201008

Asphalt hat eine Dichte von ca. 1,8 g/cm³, das Bergungsloch ca. 10 cm Tiefe. Die Halbwertsdicke für Cs-137 liegt bei dieser Dichte bei etwa 4 cm, d.h. wir haben es mit etwa 2,5 Halbwertsdicken zu tun.
Das DRK hatte nach diesem Artikel des TAGESSPIEGEL eine Dosisleistung von 10 µSv/h gemessen
https://www.tagesspiegel.de/berlin/prenzlauer-berg-radioaktiver-fund-ist-einzelfall-/1900462.html

Gruß
Norbert

DG0MG

Eiii! Der erste Link ist interessant, das kannte ich noch nicht.
Hier nochmal Direktlinks zu den 3 Artikeln:

Der Gedanke, den der Autor im dritten Artikel äußert, dass der Strahler nämlich gar nichts mit dortigen Baumaßnahmen zu tun hat, ist auch ein sehr realistisches Szenario. Dass er nämlich irgendwie und irgendwann auf der Straße "verloren" wurde und von Autoreifen in die weiche Fugennaht eingedrückt wurde. Dann müsste der Strahler aber direkt an der Oberfläche gelegen haben und nur durch das seitliche Aufpickern rundherum ist der 10cm-Krater entstanden.

Die 10 µSv/h sind sicher falsch oder nicht direkt über dem Strahler gemessen.
In allen anderen Publikationen wird der Herr Rath von Lagetsi mit 10 mSv/h direkt an der Straßenoberfläche zitiert. Auch misst  Bionerd23 im Video in einiger Entfernung noch ~0,5 µSv/h mit dem GammaScout.
Kann natürlich sein, diese Zahl stammt vom zeitlichen Beginn des Vorgangs, da stand ja noch ein Auto drüber und das DRK kam gar nicht direkt an die Stelle. Vielleicht waren sie es auch, die die erste Hypothese des Strahlers IM Auto aufstellten - ist ja auch erstmal naheliegend.

Bionerd23 hat auf Flickr auch noch 5 Bilder von dort: https://www.flickr.com/photos/bionerd/4878943605/in/photostream/

In einem der Zeitungsartikel, die ich durchforstet hatte, war dann etwas später auch ein Foto des Strahlers. Den find ich leider nicht wieder.
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

Henri


DG0MG

Wow, das ist endlich mal ein fachlich unzweifelhaftes Dokument  ;D

Hier sieht man sogar 51 mSv/h an der Asphaltdecke und die Aktivität ist mit 0,5 GBq Cs-137 ermittelt worden.

Leider keine Ermittlungsergebnisse des LKA zur Herkunft :(
"Bling!": Irgendjemand Egales hat irgendetwas Egales getan! Schnell hingucken!

Henri

Was mich gewundert hat, wie klein die Quelle tatsächlich ist. Nur 6x4mm... Wenn sie aus einer verunfallten Troxler-Sonde stammen soll, müssten ja auch noch Reste von der Umhüllung zu finden sein. Und dass sie wirklich mitten in der Teerfuge steckte...  Vielleicht hat sich da jemand ja tatsächlich einen "Spaß" erlaubt und das Teil da reingedrückt und gewartet, bis es gefunden wird. Oder es ist aus irgend einem Auto gefallen, wo es unsachgemäß verpackt gewesen ist...  Oder es stammt aus einer "Wolke" Aktion https://www.geigerzaehlerforum.de/index.php/topic,40.msg98.html und ist dem überwachten Subjekt aus der Jackentasche gefallen... Na ja, alles nur Hypothesen. Wer fragt mal beim LKA an?  ;D


NoLi

Alle kommerziellen technischen Strahlenquellen sind mit einer Gravur versehen und bei der IAEA in Wien registriert. Ich tippe auf ein Relikt der STASI, denn die holten damals die für ihre "Wolke"-Anwendungen benötigten Materialien ohne Voranmeldungen und Registrierungen im ZfK Rossendorf ab.

Norbert